Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
abzunehmen, um sich besser von ihm gefangennehmen zu lassen. Etwas hatten sie gemein, und er als Bindeglied ließ mich mehr Ähnlichkeiten zwischen den beiden Alten erkennen, dem toten Freund und dem lebenden Freund: es war der Charakter, oder das war es nicht, es war die Fähigkeit, die sie verband. Oder vielleicht war es bei allen dreien eine Gabe.
    Ich dachte, daß Tupra für die Frauen unwiderstehlich sein mußte (ich dachte es oft, ich sah es), Frauen jeder Art, jedes Berufes, jeder Erfahrung, wie eingebildet oder alt auch immer, obwohl er bereits in den Fünfzigern war und nicht wirklich gut aussah, sondern nur insgesamt attraktiv war und ein äußerliches Merkmal hatte, das vielleicht abstoßend war für einen objektiven Blick: nicht so sehr die etwas grobe und wie durch einen alten Schlag oder mehrere nachfolgende zertrümmerte Nase; nicht so sehr die für seine Jahre beunruhigend glatt schimmernde Haut von schöner, bierfarbener Tönung (jede Falte vertrieben, ohne künstliches Mittel); nicht so sehr die Augenbrauen wie Rußflecken und mit der Neigung, zusammenzuwachsen (bestimmt lichtete er ab und zu mit einer Pinzette den Raum zwischen beiden); sondern vielmehr der allzu fleischige und weiche oder so konsistenzlos wie groß geratene Mund, leicht afrikanische oder eher Hindu-Lippen, oder sie waren slawisch, die beim Küssen nachgeben und sich wie durchgeformte, weiche Knete ausbreiten oder dieses Gefühl vermitteln würden, bei der Berührung wie Saugnäpfe und von stets erneuerter, nie versiegender Feuchtigkeit. Und dennoch, sagte ich mir, er würde verführen, wen er verführen wollte, denn nichts dauert so kurz wie der objektive Blick, und dann stößt fast nichts ab, hat man ihn erst einmal verloren oder sich glücklicherweise von ihm befreit, um leben zu können. Und es würde nicht an jemandem fehlen, den dieser Mund anziehen und entbrennen lassen würde, das kommt noch hinzu. Selten in meinem Erwachsenenleben oder auch als junger und labilerer Mensch habe ich vor einem Mann die Überzeugung empfunden, daß sich gegen ihn auf welchem Terrain auch immer nichts ausrichten läßt; und daß, wenn dieser Typ oder fellow sein Auge auf die Frau an meiner Seite werfen würde, nicht die geringste Möglichkeit bestünde, sie dort zurückzuhalten. Doch ich hatte keine Frau an meiner Seite, weder bei Wheelers kaltem Abendessen noch während der meisten Zeit, in der ich als Mitarbeiter in Tupras Diensten stand. Ein Glück, daß Luisa nicht bei mir ist, dachte ich; sie ist nicht hier, und ich habe nichts zu befürchten (ich dachte es oft, ich sah es). Dieser Mann würde sie amüsieren und ihr schmeicheln und sie verstehen, er würde sie jeden Abend ausführen und sie den passendsten und fruchtbarsten Gefahren aussetzen, er würde sich zuvorkommend und solidarisch zeigen und ihre ganze Geschichte von Anfang bis Ende schlucken, und er würde sie isolieren und ihr sehr bald seine Forderungen und seine Verbote ins Ohr gleiten lassen, all das gleichzeitig oder in kürzester Zeit, und er müßte keinen Zoll tiefer graben, um mich auf den tiefsten Grund der Hölle zu schicken, noch den geringsten Anlauf nehmen, um mich in den Limbus zu verabschieden, mich und die Erinnerung an mich und die gelegentliche und unwahrscheinliche Sehnsucht nach mir.
    Diese Überzeugung machte in meinen Augen die Haltung seiner neuen Freundin ihm gegenüber noch merkwürdiger, denn sie wirkte eher, als sei sie den ganzen Weg an seiner Seite schon vor langer Zeit gegangen: so ganz, daß sie ihn am Ende überdehnt und die gemeinsame Wegstrecke strapaziert hatte und deshalb Tupras auch ein wenig überdrüssig geworden war, den sie, wie es schien, eher mit gealterter Zuneigung und versöhnlicher – und vielleicht schmeichlerischer – Haltung duldete, als daß sie ihn mit Begeisterung durch den großen Salon verfolgte oder mit der Anhänglichkeit des oder der neuen Geliebten, die noch nicht an ihr Glück zu glauben vermögen (dieser Mann liebt mich, diese Frau liebt mich, was für ein Segen) und es mit der Vorherbestimmung oder anderem überhöhenden Unfug verwechseln. Nicht, daß sie sich nicht um Tupra gekümmert hätte, aber sie tat es eher, weil er ihr Begleiter war und derjenige, der sie in Wheelers Haus geschleppt oder geführt hatte, zu diesen halb universitären, halb diplomatischen oder finanziellen oder politischen oder unternehmerischen oder vielleicht literarischen oder freiberuflichen Leuten (man vermag in einem fremden Land mit

Weitere Kostenlose Bücher