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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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nicht lachte. Sie roch gut, mit eigenem Aroma, eine dieser Frauen, deren säuerlicher, angenehmer Eigengeruch – sehr sexuell, Körpergeruch – die hinzugefügten überlagert, bestimmt war es das, was ihren Freund am meisten erregte (von den zur Schau gestellten Schenkeln einmal abgesehen).
    Tupra mochte um die fünfzig sein und war kleiner als sie, wie die meisten Männer der Party; er sah aus wie ein vielgereister oder häufig plötzlich hier- und dorthin geschickter Diplomat oder wie ein hoher Beamter, der seine Erfahrungen nicht so sehr im Büro als außerhalb gesammelt hat, das heißt, nominell weniger bedeutend war als unverzichtbar in der Praxis, eher gewohnt, gewaltige Brände zu löschen und große Löcher zu stopfen, Vorkriegswirren zu entschärfen und Aufständische zu beschwichtigen oder zu täuschen, als Strategien von einem Büro aus zu entwerfen. Er wirkte wie jemand, der mit beiden Beinen auf der Erde steht, in keiner Weise in den Höhen verirrt oder von der Etikette verdummt: Was immer seine Tätigkeit war (»sein Bereich«), er bewegte sich sicherlich mehr auf den Straßen als auf dem Parkett, mochten es auch nur noch ausgewählte, elegante und bequeme Straßen sein. Sein gewölbter Schädel wurde von einem Haar abgerundet, das um einiges dunkler, voluminöser und gelockter war, als man es im Königreich gewöhnlich antrifft (mit Ausnahme von Wales), und wahrscheinlich färbte er sich die Schläfen, wo seine Locken sich fast in Gekräusel verwandelten, womit sie ihr unpassendes, aber noch hinausgeschobenes Ergrauen verrieten. Er hatte blaue oder graue Augen, je nach dem Licht, und lange Wimpern, die zu dicht waren, um nicht von fast jeder Frau beneidet und von fast jedem Mann beargwöhnt zu werden. Sein blasser Blick war indes spöttisch, auch wenn das nicht in seiner Absicht lag – also auch ausdrucksvoll in Augenblicken der Ausdruckslosigkeit – und ziemlich gewinnend oder ich sollte besser sagen würdigend, Augen, denen niemals gleichgültig ist, was sie vor sich haben, und die den Personen, auf denen sie ruhen, das Gefühl geben, der Neugier wert zu sein, als vermittelte ihre aktive Bereitschaft vom ersten Augenblick an den Eindruck, es gehe ihnen darum, dem erblickten Menschen oder Gegenstand oder der erschauten Landschaft oder Szene auf den Grund zu gehen. Eine Art Blick, der kaum noch überlebt in unseren Gesellschaften, man mißbilligt ihn und man verbannt ihn. Natürlich ist er nicht häufig in England, wo die schon alte Tradition gebietet, daß die Blicke verschleiert oder undurchsichtig oder abwesend sind; aber auch nicht in Spanien, wo er sehr wohl zu finden war und jetzt niemand mehr etwas oder jemanden sieht noch das geringste Interesse daran hat und wo sich die Leute aus einer Art visueller Knausrigkeit heraus verhalten, als existierten die anderen nicht oder nur als ungewisse Formen oder Hindernisse, denen es auszuweichen gilt, oder als bloße Stützen, um sich festzuhalten oder an ihnen hochzuklettern, und wenn man sie dabei zu Boden tritt, noch besser, und wo man, wenn man dem Nächsten uneigennützig Beachtung schenkt, ihm eine unverdiente Bedeutung zuzuerkennen scheint, die außerdem die desjenigen mindert, von dem sie kommt.
    Und doch, wer noch immer schaut wie Bertram Tupra, dachte ich, wer seinen Blick scharf einstellt und auf der richtigen Höhe, welche die des Menschen ist; wer das Bild, das er vor sich hat, einfängt oder erfaßt oder besser in sich aufnimmt, hat viel gewonnen, vor allem Wissen und das, was Wissen erlaubt: überzeugen und beeinflussen, um sich unverzichtbar zu machen und ersehnt zu werden, wenn man sich entfernt oder fortgeht oder auch nur Anstalten dazu macht, um abzuraten und zu überreden und sich anzueignen, um einzuflüstern und zu erobern. Etwas hatte Tupra mit Toby Rylands gemein, dessen Student er gewesen war, diese warme, bestrickende Aufmerksamkeit; und etwas hatte er auch mit Wheeler gemein, nur daß Wheelers Blick auf der Lauer lag, im Hinterhalt, und seine Augen sogar dann noch eine Meinung auszudrücken schienen, wenn man sie nachdenklich oder zerstreut oder schläfrig sah, für sich allein denkend, ohne Beteiligung des Verstandes, urteilend ohne die Notwendigkeit, irgendein Urteil zu formulieren, nicht einmal für sich selbst. Tupra dagegen schüchterte anfangs nicht ein, er erweckte nicht diesen Eindruck, und deshalb sah man sich nicht genötigt, auf der Hut zu sein, eher lud er dazu ein, das Schutzschild zu senken und sich den Helm

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