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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Zeit, so daß ich mich darauf beschränkte, ihm zu antworten, eher unlustig als barsch, um abzuwiegeln:
    »Es gibt Prosa und Poesie, deren Stil per se faschistisch ist, auch wenn sie von der Sonne und vom Mond reden und die Namen selbsternannter Linker darunter stehen, unsere Presse und unsere Buchhandlungen sind voll davon. Das gleiche gilt für den Geist oder den Charakter: sie sind per se faschistisch, obwohl sie in Körpern stecken, die dazu neigen, die Faust zu heben und sich bei Kundgebungen und Demonstrationen die Seele aus dem Leib zu schwitzen vor reihenweise zurückweichenden Fotografen, die sie unsterblich machen, wie es üblich ist. Fehlt nur noch, daß man jetzt den Geist und den Stil derjenigen geltend macht, die nicht nur Faschisten sind, sondern sich auch als solche bekennen, und das mit einer Selbstgefälligkeit, als merkte man es ihnen nicht genügend an, wenn sie die Feder in der Hand halten, an jeder Seite, die sie in Druck gegeben haben, und an jeder Anzeige, die sie bei der Polizei gemacht haben. Sie haben unnötigerweise schon genug Spuren bei den heutigen Autoren hinterlassen, obwohl die meisten sie verschweigen und sich weniger belastete Vorläufer suchen, als allererstes den armen Quevedo, und einige sich ihres näheren Erbes nicht bewußt sind, sie haben es im Blut, und außerdem gärt es in ihnen.«
    »Verdammt, Alter, wie kannst du so was sagen?« De la Garza widersprach mir eher aus Verwirrung als aus mangelnder Übereinstimmung, dazu hatte er keine Zeit gehabt. »Wie kannst du das wissen, daß ein Stil per se faschistisch ist? Oder ein Geist. Komm mir nicht mit solchen Angebereien.«
    Ich war versucht, ihm zu antworten und dabei seine Redeweise zu imitieren: ›Wenn du das nicht nach ein paar Seiten Text oder einer halben Stunde Bekanntschaft mit jemandem kapieren kannst, dann hast du nicht die leiseste Scheißahnung von Literatur oder von Menschen.‹ Doch ich dachte ein wenig nach, dachte oberflächlich nach. Ja, es war tatsächlich nicht einfach, das Wie zu erklären, nicht einmal, worin genau dieser Geist und dieser Stil mit ihren so vielfältigen Gesichtern bestanden, aber ich wußte sie sogleich zu erkennen, oder so glaubte ich damals, oder womöglich war es wirklich Angeberei. Von ein paar Seiten Text und von einer halben Stunde zu reden – aber nur für mich –, war natürlich Angeberei gewesen, ich hätte sagen oder denken müssen ›nach wenigen Stunden‹, und auch das wäre gedankliches Maulheldentum gewesen. Es sind vielleicht Tage und Wochen oder Monate und Jahre, manchmal sieht man etwas klar in dieser ersten halben Stunde, um dann zu erleben, wie es verschwimmt, und es aus dem Blick zu verlieren und erst nach einem Jahrzehnt oder dem halben Leben wieder zu erfassen, oder es kommt niemals wieder. Bisweilen ist es nicht gut, die Zeit verstreichen zu lassen und zu erlauben, daß uns die verstrickt, die wir gewähren, und die verwirrt, die man uns gewährt. Es ist nicht gut, daß sie uns blendet, was die Zeit immer versucht, und währenddessen geht sie vorbei. Es ließ sich auch nicht mehr einfach definieren, was faschistisch war, es verwandelt sich allmählich in eine antiquierte, oft unpassende und zwangsläufig ungenaue Bezeichnung, obwohl ich sie gewöhnlich in umgangssprachlichem und wahrscheinlich analogem Sinn gebrauche, und in diesem Sinn und bei diesem Gebrauch weiß ich genau, was sie bedeutet und weiß, daß ich mich nicht irre. Aber ich hatte sie De la Garza gegenüber vor allem deshalb benutzt, um ihn zu ärgern und um die von ihm bewunderten miserablen faschistischen Schriftsteller an ihren Platz zu verweisen, der Typ hatte mir vom ersten Augenblick an nicht gefallen, ich habe seit meiner Kindheit viele solche Leute erlebt, sie sterben nie aus, sie schminken sich nur und passen sich an: sie haben Klassendünkel und sind selbstgefällig und sehr sympathisch, sie sind heiter und sogar von förmlicher Herzlichkeit, sie sind ehrgeizig und halb falsch (ja, sie sind nicht ganz falsch), sie versuchen, exquisit zu erscheinen und sich zugleich leutselig und sogar plebejisch zu geben (schlecht die Imitation, sie kriegen es nicht hin, ihre innere Ablehnung gegen das, was sie imitieren, verrät sie rasch), daher werfen sie mit zotigen Ausdrücken um sich, weil sie glauben, das macht sie umgänglich und führt ihnen zögerliches Vertrauen zu, daher verbinden sie ihr steifes Raffinement mit leicht kasernenhofmäßigen Manieren und Knastbrudervokabular, der Militärdienst

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