Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
bringen. Da ich einen Aschenbecher für die Asche meiner Zigarette brauchte, überlegte ich nicht lange, ging ihn holen und reichte ihm einen anderen für die Asche seiner Zigarre, die gefährlich angewachsen war. Er nahm ihn an und stellte ihn auf die Treppe, neben sich, aber er machte von ihm noch nicht den längst ratsamen Gebrauch und schüttelte außerdem den Kopf und wies mit dem jetzt zitternden Finger noch immer in dieselbe vage Richtung. Er hatte die Lippen zusammengepreßt, als wären sie plötzlich zusammengeklebt und als kostete es ihn Mühe, sie zu lösen. Sein Gesicht hatte sich jedoch nicht verändert.
»Ein Portwein? Möchten Sie einen letzten Portwein, Peter?« probierte ich, dort standen noch immer die verschiedenen Flaschen mit ihren Kettchen und Medaillen. Er schüttelte abermals den Kopf, als entziehe sich ihm das fragliche Wort, eine Blockade, eine Hemmung, vielleicht rächt sich das so gut gemeisterte (das ausgetrickste) Alter bisweilen in so läppischen Dingen. »Eine Praline? Ein Trüffel?« Die entsprechenden Packungen waren nicht entfernt worden aus dem Wohnzimmer. Er verneinte noch einmal, er hielt den Zeigefinger ausgestreckt und fuhr mit ihm auf und ab. »Soll ich Ihnen ein foulard bringen? Ist Ihnen kalt?« Nein, das war es nicht, er verneinte, seine elegante Krawatte schloß gut an seinem Hals. »Ein Kissen?« Endlich nickte er erleichtert, und dann fügte er zum Zeigefinger den Mittelfinger hinzu und hob beide, es waren zwei Kissen, um die er mich bat.
»Kissen, zum Teufel, ich weiß nicht, was mit mir ist, manchmal bleiben mir die dümmsten Wörter im Hals stecken, und dann kommt auch kein anderes raus, bis ich das widerspenstige von mir gegeben habe, eine Art vorübergehender Aphasie.«
»Haben Sie einen Arzt konsultiert?«
»Nein, nein, es ist nichts Physiologisches, das weiß ich ganz genau. Es ist nur ein Moment, als würde der Wille mir entgleiten. Es ist wie eine Ankündigung oder ein Vorwissen …« Er fuhr nicht fort. »Gib sie mir, bitte, meine Nieren werden es danken.«
Ich nahm sie von einem Sofa, reichte sie ihm, er stopfte sie hinter sich in dieser Höhe, ich fragte ihn, ob es ihm nicht lieber sei, daß wir uns ins Wohnzimmer setzten, er machte mit der Hand, die die Zigarre hielt, eine verneinende Bewegung (dabei fiel ihm die lange Asche auf den Teppichboden), als wollte er zu verstehen geben, daß es sich nicht lohne, daß er mich nicht lange aufhalten werde (mit der Handkante ließ er die noch kompakte Asche in den Aschenbecher fallen, den er unter die beschmutzte Stufe gestellt hatte, ohne daß sie zerfiel), ich kehrte an meinen Platz zurück, aber ich zog eine fünf- oder sechssprossige Leiter heran, die im Arbeitszimmer dazu diente, die oberen Bücher zu erreichen, stellte sie auf die Schwelle und setzte mich darauf, ich will sagen, ich befand mich noch immer in der gleichen Entfernung.
Wheeler hatte die letzten Sätze in englisch gesagt, wir sprachen mehr in dieser Sprache, weil sie die Sprache des Landes war und die Sprache, die wir den ganzen Tag hörten und mit den anderen benutzten, aber wir wechselten sie mit dem Spanischen ab, wenn wir alleine waren, und gingen von der einen zur anderen über je nach Bedarf, Bequemlichkeit oder Lust und Laune, es genügte, zwei Wörter der einen oder der anderen Sprache hinzuwerfen, und schon wechselten wir eine Zeitlang in die so eingeführte hinüber, sein Spanisch war ausgezeichnet, mit Akzent, der aber nicht sehr stark war, flüssig und ziemlich schnell – wenn auch natürlich langsamer als mein rasantes, das gespickt war mit aneinandergereihten wilden Synalöphen, die er vermied –, zu genau im Vokabular, zu sorgfältig vielleicht, um das eines Einheimischen zu sein. Er hatte das Wort prescience benutzt, das gebildet war, aber nicht so selten im Englischen wie im Spanischen, bei uns sagt es niemand, und fast niemand schreibt es, und sehr wenige kennen es, wir neigen eher zu »Vorahnung« und »Vorgefühl« und sogar »Eingebung des Herzens«, alle haben sie mehr mit Empfindungen zu tun, mit dem Riecher, auch das existiert, umgangssprachlich, mehr mit den Gefühlen als mit dem Wissen, der Gewißheit, keines impliziert die Kenntnis des Zukünftigen, was in der Tat prescience und das spanische presciencia bedeuten, die Kenntnis dessen, was noch nicht existiert und nicht geschehen ist (daher hat es nichts mit Prophezeiungen oder Vorzeichen oder Wahrsagerei oder Voraussagen zu tun und schon gar nichts mit dem, was
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