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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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›Und vorher bin ich auch einmal in eurem gewesen‹, hatte er gesagt, also hatte er teilgenommen, er hatte gekämpft oder vielleicht spioniert oder nur Propaganda betrieben oder vielleicht war er Korrespondent oder Krankenpfleger beim Roten Kreuz gewesen, hatte Ambulanzen gefahren. Ich konnte es nicht glauben. Nicht die Tatsache selbst, sondern daß ich es bis zu diesem Abend nicht gewußt hatte, nachdem wir uns so viele Jahre kannten.
    »Sie haben mir nie gesagt, daß Sie im spanischen Krieg waren, Peter, wie ist das möglich.« The Spanish War hatte ich gesagt und damit allzusehr der Sprache gehorcht, die ich gerade sprach, denn so hieß er im umgangssprachlichen Englisch fast immer. »Sie haben das mir gegenüber nie erwähnt.« Ich glaubte es wirklich nicht. »Wie erklärt sich das? Sie haben es nicht einmal angedeutet.«
    »Nein, ich glaube, ich habe es nicht getan«, bestätigte mir Wheeler ernst, als beabsichtigte er auch jetzt nicht, noch etwas hinzuzufügen. Und dann leuchtete sein Gesicht mit einem unverhohlen genußvollen Lächeln auf, das es noch jugendlicher erscheinen ließ, es entzückte ihn, meine Neugier zu wecken und mich dann unwissend zu lassen, ich nehme an, er tat das mit allen, wenn er Gelegenheit dazu hatte, auch darin war er wie Toby Rylands, der sich oft in Andeutungen über beklagenswerte Ereignisse seiner Vergangenheit erging, über ferne, halbgeheime Tätigkeiten, über unerwartete oder für einen Universitätsprofessor eher unpassende Kontakte, ohne jemals irgendeine Erzählung richtig abzurunden. Er deutete an und schwieg, er entzündete die Phantasie, aber er schürte und nährte sie nicht, und wenn er mit irgendeiner Geschichte begann, schien es nur sein Gedächtnis und nicht sein Wille zu sein – sein lautes, artikuliertes Gedächtnis –, das ihn dazu brachte, und dann reagierte er und zügelte sich sofort, und so erzählte er nie etwas Vollständiges über seine möglichen harten oder abenteuerlichen Tage, er erlaubte nur Ahnungen. Sie gehörten zur gleichen Schule und zur gleichen schon vergangenen Epoche, er und Wheeler, ihre so lange Freundschaft war nicht verwunderlich, wie sehr mußte der Lebende den Toten vermissen, unermeßlich. »Aber ich habe es auch nicht vor dir verborgen«, fügte Wheeler mit seinem großen Lächeln hinzu, während er endlich die Zigarre senkrecht im Aschenbecher ausdrückte, kraftvoll und mit einer einzigen Bewegung, als wäre sie ein unerwünschtes Ungeziefer. Er hatte sie zu Ende geraucht. »Wenn du mich einmal danach gefragt hättest …« Und dann machte er sich, noch amüsierter, das Geschenk, mir einen Vorwurf zu machen: »Du hast nie das geringste Interesse dafür gezeigt. Du hast keine Neugier für meine Abenteuer auf der Halbinsel gehabt.«
    Wenn ich sah, daß er spielte, ließ ich mich gewöhnlich auf sein Spiel ein, so wie ich auch versuchte, sein Vergnügen zu verlängern, wenn ich ihn vergnügt sah. Daher sagte ich zu ihm, was er von mir hören wollte, obwohl ich seine Antwort schon kannte oder genau deshalb, damit er sie mir geben konnte:
    »Dann frage ich Sie jetzt, Peter, mit allem Nachdruck. Ich versichere Ihnen, nichts auf der Welt könnte mich jemals so interessieren. Kommen Sie, erzählen Sie mir sofort Ihre unbekannten Abenteuer im Zweiten Krieg auf der Halbinsel.«
    »Übertreib nicht, leider war unsere Beteiligung nicht so groß wie beim Ersten.« Überflüssig zu sagen, daß er den Scherz verstanden hatte, unter dieser Bezeichnung kennt man in England, was für uns der Unabhängigkeitskrieg ist gegen die napoleonische Besetzung: The Peninsular War , sie haben eine Menge Bücher über diesen Feldzug geschrieben, im Unterschied zu uns, sie betrachten ihn als ihren eigenen. Es ist erhellend, wie sich die Namen je nach der Perspektive ändern, angefangen bei denen der kriegerischen Konflikte. Der überall als Erster Weltkrieg oder Krieg von 1914 oder sogar Großer Krieg bekannte ist für die Italiener La Guerra del Quindici-Diciotto , weil sie erst 1915 in den Ring traten. »Jetzt ist es zu spät.« Wheeler ließ nicht ab von seinem geplanten Gestichel. »Und morgen werden wir keine Zeit haben, wir müssen ein paar Angelegenheiten erledigen, verschiedene Dinge. Du hättest andere, frühere Gelegenheiten nutzen sollen, siehst du? Man muß die Dinge rechtzeitig denken oder antizipieren.« Er lächelte noch immer. Er holte Schwung und erhob sich, wobei er sich zugleich auf den Stock und auf das Geländer stützte. In Wahrheit war

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