Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
seinen Vorteil oder sein Überleben oder den Schaden und das Mißgeschick anderer bedacht: »All das ist in uns und nicht draußen an irgendeinem Ort.«
Und so kommen wir zu einem Bereich, in dem es das geringste ist, ob die Dinge tatsächlich sind oder nicht, denn man wird sie immer erzählen können, so wie man am Ende auch schlecht und recht oder stockend alle Träume erzählt, selbst die verwickeltsten und absurdesten – zumindest im Geist oder nicht immer syntaktisch gegliedert; und insofern ist das, was durch den Kopf geht, schon gewesen; und das, was dem Denken voraufgeht oder vor ihm existiert, das ist auch gewesen. Was nützt dann das Verblassen und Verschwimmen dessen, was draußen oder in der Ferne, in einer anderen Stadt, in einem anderen Land geschieht oder von uns getan wird, in der unerwarteten Existenz, die uns nicht zu gehören scheint, in dem theoretischen oder in Klammern gesetzten Leben, das wir nach unserem Empfinden führen und das uns bis zu einem gewissen Grad die untergründige, unüberlegte Überlegung eingibt, daß nichts von dem, was diese Zeit enthält, irreversibel ist und daß alles aufgehoben, gewendet, verändert werden kann; daß es nur halb und ohne unsere volle Zustimmung geschehen ist. Was nützt es, wenn sogar das, was für einen Richter nicht geschehen ist – der Mord, wenn wir uns darauf beschränken, ihn zu planen; der Verrat, wenn er uns nur verlockt hat; die Verleumdung oder die Denunziation oder die Heimtücke, wenn wir sie uns nur vorstellen mit ihren vernichtenden Auswirkungen, ohne sie in Umlauf zu bringen oder in Gang zu setzen: »Es liegt kein Anlaß vor, hier liegt kein Rechtsfall vor«, würde der Richter sagen, der darüber zu urteilen hätte –, sehr wohl für uns geschehen ist und wir uns als Beteiligte oder Verantwortliche fühlen. Zumal wenn man sich der Aufgabe widmet, leichtfertig zu wetten und vorauszusehen, zu schauen und zuzuhören und zu deuten und sich festzulegen, zu behalten und zu beobachten und auszuwählen, auszuforschen, zu assoziieren, aufzubereiten, zu übersetzen, zu erzählen und Vorstellungen zu vermitteln und mit ihnen zu überzeugen, die erdrückende Forderung zu beantworten und zu befriedigen, die sich niemals zufrieden gibt, »Was noch, was siehst du noch, was hast du noch gesehen«, obwohl es bisweilen kein »noch« gibt und man seine Visionen forcieren oder vielleicht mit seiner Erfindungskraft und der Erinnerung auffüllen muß, das heißt, mit der unfehlbaren Mischung, die Menschen verdammen oder retten kann und die uns zwingt, Vorurteile zu äußern, oder vielleicht sind es Vorverurteilungen. Zumal wenn man ist wie ich oder wie Tupra, wie Pérez Nuix oder Mulryan oder Rendel, wie Sir Peter Wheeler oder wie Toby Rylands war, wenn man diese Gabe besitzt, die nichts Weltbewegendes ist und die zudem nur andere in uns sehen werden oder nur andere uns lehren werden zu akzeptieren und damit auch, an sie zu glauben.
I ch beeilte mich, obwohl Tupra mich nicht dazu angehalten hatte, nicht mit diesen Worten. Ich stand auf und rückte meinen Stuhl ein wenig zur Seite, um entschlossener zu wirken. Ich hielt es nicht für notwendig, mich zu entschuldigen, schließlich und endlich würde Manoia mich nicht vermissen, er beachtete mich nicht sonderlich und war auch nicht zufrieden mit meiner Arbeit; vielleicht würde er es jetzt tun und meine Schritte durch seine gutsitzende, festgehaltene Brille bis an die Grenzen seines Gesichtsfeldes verfolgen, er würde ahnen oder begreifen oder wissen, daß ich auf die Suche nach seiner Frau ging, um sie zurückzubringen, ob er Reresby nun verstanden hatte oder nicht; dieses Abenteuer von mir würde ihn interessieren und mehr noch sein Ausgang, und er würde sogar Unruhe und Ungeduld empfinden und sich Fragen nach meinem Verbleib stellen, wenn ich zu lange auf mich warten ließe: if I did linger , entgegen Tupras Empfehlung – oder nein, es war ein Befehl –, wenn ich mich entgegen seinen Anweisungen aufhielt oder Zeit verlor, wenn ich mich dumm anstellte oder versagte. All das konnte passieren, wenn ich sie nicht sehr bald fand, wenn sie sich in irgendein für mich unsichtbares Séparée verzogen hatten, das De la Garza womöglich kannte, weil er es schon in einer anderen Nacht mit irgendeiner Verzweifelten in den letzten hormonellen Zügen ausprobiert hatte – so etwas wie einen Dunkelraum, in dem man anonym herumkriechen konnte, gab es meines Erachtens dort nicht –, oder wenn sie tatsächlich
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