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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Dieser warf einen raschen Blick auf die Leere, die das verschwundene Paar hinterlassen hatte, er verlor nicht die Fassung und faßte sich auch nicht an die Brille, aber ich spürte, daß er sich plötzlich verdüsterte, er hob die Hände, wie es seine Gewohnheit war, in der unbequemen schwebenden Haltung, die an fromme Inszenierungen erinnerte, eine über der anderen in der Luft, ohne die Ellbogen oder die Unterarme aufzustützen; ich fand sie bedrohlich, knochig, steif – seine Finger waren gelbliche Klaviertasten –, so als sammelten sie Kraft oder vielleicht Ruhe; als bereiteten sie sich vor oder beherrschten sich oder hielten sich gegenseitig fest. Tupra dagegen ließ nie Religiosität oder Frömmigkeit erkennen, nicht einmal als Spur in einer unbewußten Gebärde oder Haltung, nicht einmal in der grausamen Form, die erstere häufig annimmt. Bei ihm gab es keine Inszenierungen, kaum Verstellung, darum ging es nie: wenn er oft undurchschaubar und unergründlich wirkte, dann nicht aufgrund irgendwelcher Vorspiegelungen, sondern weil man seine Verhaltensnormen niemals ganz erfaßte. (Ich hoffte, es würde ihm mit mir genauso ergehen oder nicht sehr viel anders: das war besser für mich.) Tupra ertrug das Schweigen, seines, das nur von ihm abhing, das freiwillige, allzu gut, und wer bewußt schweigt, richtet Verheerungen bei den Ungeduldigen und Redseligen und bei seinen Gegnern an. Deshalb beunruhigte mich am allermeisten, daß er jetzt redete, ohne zu warten, und daß er sich dabei ein wenig verstellte (wenig und schlecht und nur einen Augenblick). Er steckte einen verdrehten Daumen in die äußere Brusttasche der Weste, um Ungezwungenheit zu demonstrieren: allerdings war das keine ihm fremde Geste und glich einer von Wheeler, vielleicht hatte er sie von diesem übernommen, in Wirklichkeit war es üblicher bei beiden, daß sie ihn unter die Achsel schoben, so als wäre der Daumen eine Reitpeitsche, und daß sie das ganze Gewicht des Brustkorbs auf ihn stützten, zumindest machte es diesen Eindruck. Dann murmelte er rasch, mir halb zugewandt (und für mich war klar, daß er so schnell und zwischen den Zähnen sprach, um seinem Gast die Sätze vorzuenthalten):
    »Sieh als allererstes nach, ob sie in den Toiletten sind, Jack, in der Damen- oder in der Herrentoilette, sieh in beiden nach, ich bitte dich. Und auch in der für Krüppel, die ist meistens die leerste. Finde sie, sei so gut, und bring sie her.« Er benutzte diese Höflichkeitsfloskeln, von denen ich bereits wußte, daß sie bei ihm zum Fürchten waren, ein böses Zeichen, sie waren gewöhnlich das Vorspiel zu Verärgerung oder Verstimmung, wenn man nicht nachbesserte oder seine Schuldigkeit tat. Sie waren eines seiner wenigen deutbaren Zeichen, zumindest waren sie es für mich. »Halt dich nicht auf und warte nicht. Bring sie her.« Ich glaube, das war es, was er auf englisch sagte, »Don’t linger or delay« oder vielleicht nicht, und es war etwas anderes, vielleicht »loiter« oder »dally« , das ist unwahrscheinlich. Sicher bin ich mir allerdings, daß ihm der Ausdruck »Beeil dich« nicht über die Lippen kam. Sein Bewußtsein für das Leichte und das Schwere in den Sprachen war ebenso ausgeprägt wie bei mir möglicherweise, und diese Worte waren allzu erkennbar, »Beeil dich«. Er wußte, daß Manoia sie jederzeit hätte verstehen können, selbst gemurmelt und inmitten des Lärms oder aus verborgenem, dunklem Mund.

O ja, man ist nie, was man ist – nicht ganz, nicht genau –, wenn man allein ist und im Ausland lebt und unaufhörlich eine Sprache spricht, die nicht die eigene oder die des Anfangs ist. So lange die Zeit der Abwesenheit auch dauern und so unabsehbar ihr Ende sein mag, weil es am Anfang nicht festgesetzt wurde oder sich verflüchtigt hat und nicht mehr vorgesehen ist, und es außerdem keine Gründe für den Gedanken gibt, daß dieses Ende mitsamt der daraus folgenden Rückkehr eines Tages kommen oder am Horizont auftauchen kann (die Rückkehr in das Vorher, das nicht gewartet haben wird) und somit das Wort »Abwesenheit« in jeder Stunde, die vorübergeht und die man in der Ferne verbringt, Bedeutung und Gewicht und Gehalt verliert – und damit auch der Ausdruck »in der Ferne« –, so akkumuliert sich doch diese Zeit unserer Abwesenheit wie eine seltsame Zwischenzeit, die im Grunde nicht zählt und uns nur als austauschbare, spurlose Phantome beherbergt und für die wir daher auch niemandem Rechenschaft ablegen müssen,

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