Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)
blitzschnell das Lokal verlassen hatten – aber das war undenkbar –, ohne auch nur an der Garderobe haltzumachen – aber das war unvorstellbar, ein Murmanski-Mantel, nie hätte Flavia ihn zurückgelassen –, in diesem Fall würde ich auf die Straße hinausgehen und beide Richtungen und Bürgersteige ausspähen und hinter ihnen herrennen müssen, wenn ich sie denn erblicken würde – ich wollte mir lieber nicht vorstellen, was es für uns bedeuten könnte, sie zu verlieren oder bereits verloren zu haben.
Ich erhob mich mit einem plötzlichen Gefühl von Schwere, es entsteht aus mehreren Verbindungen, von Schrecken und Eile, von Widerwillen angesichts der kalten Vergeltung, zu der wir uns gezwungen sehen, von übermächtiger Fügsamkeit in einer bedrohlichen Situation. In Wirklichkeit fürchtete ich nicht, daß etwas davon geschehen war, es erschien mir unwahrscheinlich, daß Frau Manoia sich von De la Garza hatte den Verstand trüben lassen, noch dazu in dieser tollkühnen Weise, während ihr Ehemann ein paar Schritte entfernt mit Ausländern verhandelte. Von Rafita dagegen konnte man es durchaus erwarten, jeden ordinären Vorschlag oder plumpen Vorstoß, fünf Finger, beide Hände, fast jeden Übergriff. Daß sie sich zusammen in eine Toilette begeben haben konnten, war für mich nur in der mütterlich-mitleidigen Version möglich, das heißt, daß dem Attaché ganz plötzlich zum Sterben übel geworden war und er das dringende Bedürfnis verspürt hatte, alles, was er geschluckt hatte, auf einmal und auf dem gleichen Weg, auf dem er es zu sich genommen oder hereingelassen hatte, wieder von sich zu geben (während Frau Manoia ihm mit einer Hand die bebende Stirn hielt und darauf achtete, daß das Haarnetz nicht zum Strick für ihn wurde und ihn erdrosselte bei so vielen Krämpfen und Gewürge). Nein, ich glaubte nicht an irgendeine schlimme Wendung oder Begebenheit, nicht mit dem verläßlichen Denken; und doch spürte ich die Schwere in den Oberschenkeln, den harten Knoten im Nacken, die Last auf den Schultern, so als ahnte ich (aber es gab kein Vorwissen, das war es nicht), daß aufgrund dieser Episode etwas am Ende umschlagen und uns vielleicht für immer oder zumindest für lange Zeit beflecken würde, und mir wurde sogleich klar, daß der Ursprung der Ahnung eher Tupra war mit seinem heimlichen Getue, mit seinem verstohlenen, aber für seine sonstige zurückhaltende Art zu raschen Sprechen, als Manoia oder De la Garza oder Flavia oder die Gruppe der lärmenden Spanier mit ihrem andächtigen Flamencosänger oder als die Situation an sich, die noch keinen nennenswerten Affront in sich barg oder besonders anormal war. Oder als ich selbst natürlich, obwohl das Gefühl sicher nur meines war in dem Augenblick, da ich aufstand, um mich auf die Suche zu begeben. Das Unbehagen, das Ominöse, der Nadelstich und die Ahnung eines Unheils, der angehaltene Atem – oder vielleicht war es das verhaltene Atmen dessen, der sich anschickt, einen Schlag zu versetzen, oder es war nur Blei auf meiner wachen Seele –, all das ging von Tupra aus, es war, als habe er eine Grenze überschritten oder plötzlich eine Linie gezogen, um sich sogleich über sie hinwegzusetzen, nicht so sehr von seinem Verstand als von seinem Gefühl her, und bereits eine Strafe beschlossen, unabhängig von dem, was von nun an geschehen würde.
Vielleicht gehörte er zu denen, die nichts ankündigen, oder manchmal nicht, zu denen, die Entscheidungen aus der Ferne treffen und aus kaum erkennbaren Beweggründen heraus oder ohne daß die Handlungen einen ursächlichen Zusammenhang mit ihnen herstellen, und schon gar nicht die Beweise für den Vollzug dieser Handlungen. Er brauchte keine Beweise bei diesen willkürlichen oder begründeten Anlässen – wer konnte das sagen –, in denen er nicht die geringste Warnung oder Vorwarnung vorausschickte, bevor der Säbelhieb erfolgte, er brauchte nicht einmal die vollzogenen Handlungen, die Ereignisse, die Tatsachen. Vielleicht genügte es ihm, zu wissen, was möglich wäre, gäbe es in der Welt weder Zwänge noch Hindernisse, mit seiner Gewißheit in bezug auf die menschlichen Fähigkeiten, die sich nur deshalb nicht mit aller Kraft entfalteten, weil jemand – er zum Beispiel – sie davon abhielt oder daran hinderte, aber nicht aus Mangel an Bereitschaft oder Mut, all das setzte er als selbstverständlich voraus. Vielleicht genügte es ihm, sich einzureden, was jeweils geschehen wäre, wenn
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