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Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition)

Titel: Dein Gesicht morgen: Tanz und Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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wenn wir die Gewohnheit aufgeben, wie Wheeler sagte, wenn wir darauf verzichten zu erzählen und niemals etwas erzählen, retten wir uns davor, etwas zu erzählen. Nicht einmal, wenn wir die Seite leer lassen. Und so kommt es, daß die Dinge, obwohl sie nicht erzählt werden und nicht einmal geschehen, niemals ruhen können. ›Es ist furchtbar‹, dachte ich. ›Es gibt kein Entrinnen. Auch wenn sie nicht einmal erzählt werden. Auch wenn sie nicht einmal geschehen.‹
    Und so stand ich auf und rückte meinen Stuhl ein wenig zur Seite, und ohne mich bei Manoia zu entschuldigen oder ihn mit einer Geste oder einem Wort zu bedenken, machte ich mich mit eiligem Schritt auf den Weg zu den Toiletten, das war das erste, hatte Tupra mir vorgegeben. Sie waren nicht in der Nähe, und ich mußte auf der Suche nach ihnen ein gutes Stück gehen, ich schaute rechts und links und auch nach vorne, vielleicht erfaßten meine Augen ja unterwegs das entflohene Paar, und so könnte ich meinen Auftrag unverzüglich erfüllen, obwohl ich zu rasch und zu beschäftigt ging – das Gehen wurde mir sogleich erschwert –, um in der Menge zu sehen, der ich ausweichen mußte und die mir den Durchgang versperrte, zu dieser Stunde war die Diskothek schon sehr voll, mit schicken und nicht ganz so schicken Leuten, die Nacht vermischt, je mehr sie voranschreitet, und in unserem Bereich – der die Spanier und die halbrasche Tanzfläche umfaßte – herrschte mit Abstand das geringste Gedränge, die halblangsame Musik zog scheinbar nur wenige an (also würde sie bald aufhören), dagegen sah man tanzende Massen auf der anderen Bühne oder Tanzfläche oder wie man das heute nennt, die nachgerade frenetisch war, ich sah aus dem Augenwinkel diese dichtgedrängten, schwitzenden Massen einige Meter von mir entfernt, oder es waren Yards, ich umrundete sie und begab mich nicht in sie hinein, das hätte mich Drängeln und Zeit gekostet, und das dringende waren die Toiletten. Tupra wußte, daß dort die größten Gefahren lauern für die, die sich absondern, so ist es seit der Jugend, wenn man heimlich in der Schule raucht.
    Es stand eine kleine Schlange vor der Damentoilette, das ist häufig so, ich weiß nicht, ob sie länger brauchen, weil sie sich hinsetzen und jede jedesmal gründlich saubermacht, bevor sie Platz nimmt; zwei oder drei Frauen warteten vor der Tür, und vor der Herrentoilette stand niemand, also ging ich zuerst dort hinein, um einen Blick in die Runde zu werfen oder sie vielmehr bis in den letzten Winkel zu inspizieren, ich wollte Herrn Reresby darin nicht enttäuschen, »Bring her back. Don’t linger or delay«, diese klaren Befehle hallten in meinem Kopf wider. Ich sah drei Typen herumstehen, zwei urinierten ernst oder mit abweisendem Gesicht, einer neben dem anderen, obwohl sie keine Freunde zu sein schienen und natürlich nicht miteinander sprachen, es war merkwürdig, daß sie so nah beieinander standen, wo sechs Plätze frei waren, gewöhnlich geht man auf Distanz bei derlei Verrichtungen; der dritte kämmte sich trällernd vor dem Spiegel. Von den sechs Toilettenräumen waren zwei besetzt, aber beide zeigten (ich beugte mich ziemlich tief hinunter, wegen des geringen Einblicks) ihr entsprechendes Paar Hosenbeine, jeweils zur Ziehharmonika gefaltet, sie waren sichtbar unter den abgeschnittenen Türen, ich weiß nicht, warum sie bei diesen öffentlichen Kabinen fast nie bis zum Boden reichen und auch nicht bis zur Decke, als wären sie Türen in den Saloons des Wilden Westens, na ja, zum Glück schwingen sie nicht hin und her und sind auch nicht so kurz (keine Westen, sondern Mäntel). Diejenigen, die urinierten, sahen mich argwöhnisch an, sie drehten den Hals, wie aufeinander abgestimmt, und ihr Gesichtsausdruck wurde noch finsterer, ich öffnete nacheinander die anderen Türen, um festzustellen, daß die Räume leer waren, wenn jemand auf das Klobecken steigt, kann man seine Beine nicht mehr sehen durch den unteren Spalt, und der Ort scheint frei zu sein, obwohl zwei Personen zugleich darauf wahrscheinlich Einsturzgefahr bedeuten würden, besonders wenn eine der beiden mit bedrohlichen Attrappen aus Eichenholz oder Einlagen aus flüssigem Blei oder sonst was ausgestattet war. Derjenige, der sich kämmte, drehte sich dagegen nicht um, er zog sich den Scheitel mit Wasser und äußerster Sorgfalt und hörte nicht auf, fröhlich vor sich hin zu trällern, ohne auf seine Umgebung zu achten (»Nanná naranniaro nannara nanniaro«,

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