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Dein goettliches Herz entflammt

Dein goettliches Herz entflammt

Titel: Dein goettliches Herz entflammt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Keaton
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stürmte den Korridor hinunter und verschwand in einem Zimmer am Ende.
    Plötzlich überrollte mich eine Welle der Müdigkeit, meine Schultern sanken nach unten. Ich spürte, wie die anderen mich anstarrten, doch mehr als alles andere wollte ich jetzt einfach nur in Ruhe gelassen werden. Ich musste Ordnung in meine Gedanken bringen und das, was bis jetzt geschehen war, erst einmal verarbeiten. Mein vorschneller Entschluss oder Einfall – wie auch immer man es nennen wollte –, einfach wegzurennen, würde mir nichts bringen. Es war dunkel. Ich brauchte einen Platz zum Schlafen. Ich hatte schon bezahlt. Mit einem Seufzer gestand ich mir ein, dass die Entscheidung schon längst gefallen war.
    Ich ging wieder ins Schlafzimmer, schnappte mir den Schuhkarton und warf mich auf den Teppich vor dem Kamin. Doch das Geräusch von Schritten in der Halle unten machte mir schnell klar, dass ich so bald keine Ruhe finden würde.
    Crank, der merkwürdig aussehende Junge und das kleine Mädchen mit den Fangzähnen – inzwischen hatte es die goldene Mardi-Gras-Maske aufgesetzt – kamen herein. Sie setzten sich zu mir auf den Teppich, sodass wir im Halbkreis vor dem Kamin hockten. Der Junge beugte sich vor und schnippte über dem Holz mit den Fingern. Sofort loderten Flammen auf.
    Er hielt die Hände über das Feuer und wärmte sie, bevor er sich wieder zu uns drehte. »Das ist nichts Besonderes. Nur ein Trick«, erklärte er, als er bemerkte, dass mir die Kinnlade heruntergefallen war. »Was ist in der Schachtel da?«
    Ja, klar, nur irgendein blöder Trick. Aber es war leichter, das zu glauben, als die Alternative. »Sachen von meiner Mutter.«
    Vom Ende des Korridors drang das Geräusch einer Trommel zu uns herein. Dann erklang eine zweite und eine dritte, bis sich ein Rhythmus bildete. Wände und Boden vibrierten. Das Tempo wurde schneller, dynamischer, geradezu wild. Es klang wirklich gut. Die Trommeln drangen mir durch Haut und Knochen, fanden den Weg zu meinem Herzen und schlugen dort im selben Takt.
    »Das ist Sebastian«, informierte mich Crank. »Wenn er schlechte Laune hat, trommelt er immer.«
    Ich musste nicht nachfragen, was das bedeutete. Mit schlechter Laune kannte ich mich aus. Im Hintergrund konnte ich ganz leise Musik und Gesang hören und mir wurde klar, dass Sebastian zu einem Stück im Radio oder auf einer CD trommelte. Egal, was es war, man konnte dazu tanzen oder sich auf den Boden legen, die Augen schließen und weinen.
    Als die Flammen im Kamin höher schlugen, huschten Schatten über die Wände und den Schädel, der mich anzugrinsen schien, als wüsste er etwas, das ich nicht wusste. Der Schein des Feuers flackerte auf den bunten Perlen und dem schwarzen Satin des Zylinders. Er sollte einen Namen haben, dachte ich. Dann fragte ich mich, was mir mehr Angst einjagte, der Schädel oder das kleine Mädchen, das mich mit seinen glänzenden schwarzen Augen durch die goldene Maske hindurch anstarrte.
    »Das hier ist Dub.« Crank deutete auf den Jungen. »Und das ist Violet. Sie redet nicht viel.«
    Violet hielt immer noch ihre Orange in beiden Händen. Gelegentlich hob sie die Frucht an ihre winzige Nase und roch daran, ihre runden Augen blieben jedoch unablässig auf mich gerichtet. Sie sah aus wie eine schwarz angezogene Mardi-Gras-Puppe. Und aus irgendeinem Grund wurde mir die Kleine, die nicht älter als zehn sein konnte, immer sympathischer.
    »Ich glaube, dein Tattoo gefällt ihr«, erklärte Dub, während er mit den Fingern auf seiner Khakihose herumtrommelte. »Bist du auch eine Doué?«
    »Eine was?«
    »Doué. So nennen die Novem die Freaks. Die Sonderlinge. Du weißt schon … uns.« Er redete so schnell, als wäre jemand hinter ihm her. Alles an Dub war nervöse Energie und ständig bewegte sich irgendein Teil seines Körpers. »Violet hat komische Zähne. Henri hat eigenartige Augen. Ich kann ein paar Tricks. Crank kann …«
    »… nichts«, unterbrach sie ihn. Ihre Stimme klang enttäuscht. »Ich bin die Einzige hier, die normal ist.«
    »Ja, aber niemand ist so praktisch veranlagt wie du«, meinte Dub. »Und seit du den Kühlschrank repariert hast« – er legte eine Hand aufs Herz und streckte die andere aus, als wollte er ihr ein Ständchen bringen –, »bist du die Herrscherin dieses Freakhauses.«
    Crank ließ den Kopf hängen und rollte mit den Augen, doch ich konnte ihr ansehen, wie sie sich über das Kompliment freute. »Und dein Bruder, Sebastian?«, fragte ich. »Ist er auch normal?«

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