Dein goettliches Herz entflammt
herabhing. Mein Blick suchte die dunkle Straße ab und wanderte dann über das schmiedeeiserne Tor bis zu den Fenstern im ersten Stock.
Inzwischen wussten die Novem sicher schon, dass ich geflohen war. Doch ohne den Schuhkarton meiner Mutter wollte ich die Stadt nicht verlassen.
Bis jetzt hatte ich mich in den schwarzen Schatten verstecken können, die über den Straßen des Garden District hingen. Während entlang der St. Charles Avenue noch einige Straßenlaternen funktioniert hatten, kam hier das einzige Licht von den wenigen bewohnten Häusern. Von meinem Standort aus beobachtete ich das hohe Haus und die Umgebung, während ich vorsichtig auf der Innenseite meiner Wange herumkaute.
Kalte Feuchtigkeit ließ mich frösteln. Die Luft stand still. Ich konnte keine Bewegung ausmachen. Es war Zeit zu gehen. Ich rannte über die Straße, wobei ich versuchte, möglichst leise zu sein, und steuerte auf die Ecke des schmiedeeisernen Zauns zu. Dieser Teil des Zauns war von Schlingpflanzen überwuchert, die es einfach machten darüberzuklettern.
Mit meinen Füßen landete ich auf einer dicken Schicht verrottender Blätter. In geduckter Haltung schlich ich in Richtung der Hausrückseite und achtete darauf, immer im Schatten zu bleiben. Nachdem ich hinter der Magnolie eine kurze Pause eingelegt hatte, rannte ich über den Hof und öffnete eine der Terrassentüren, die ich leise wieder hinter mir zuzog, als ich hineingeschlüpft war.
Im Haus brannte Licht, doch es war alles ruhig. Das Wohnzimmer war leer, genauso das Esszimmer – »die Gruft« – und die Küche. Ich konnte mein Glück kaum fassen. An der Treppe blieb ich stehen und lauschte. Nichts. Ich hastete nach oben und ging zu dem Schlafzimmer, in dem ich übernachtet hatte. Wenn ich es schaffte, ungesehen hinein- und wieder herauszukommen, wenn ich nichts erklären und mich auch nicht verabschieden musste… Es war vielleicht nicht unbedingt die beste Art, um meinen Aufenthalt hier zu beenden, aber für alle Beteiligten am einfachsten.
Die Tür zum Schlafzimmer stand einen Spalt offen, ich musste sie nur noch aufstoßen und hineingehen. Als ich drin war, blieb ich abrupt stehen.
Violet lag auf meinem/Cranks Schlafsack, das Gesicht von mir abgewandt, Pascal neben sich, der sich an ihren Rücken kuschelte.
Als ich mein Gewicht verlagerte, knarrten die Dielen. Pascal hob den Kopf und drehte sich langsam in meine Richtung. Er blinzelte, als Violet aufwachte und über die Schulter zu mir sah. Sie richtete sich auf, nahm Pascal hoch, damit sie ihn nicht zerdrückte, und setzte ihn neben sich auf den Boden. Um ihren Hals hing eine königsblaue Maske. Sie schob die Maske nach oben auf den Kopf und starrte mich eindringlich aus ihren großen, fast schwarzen Augen an. Eine Sekunde lang durchströmte mich eine wohlige Wärme und es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte mich neben sie gesetzt, mit ihr geredet, mit ihr…
Nein, ich musste gehen.
»Hallo, Violet.« Als ich zu dem Schuhkarton ging, folgte mir ihr Blick. Meine Hände legten sich um die Schachtel. Nimm einfach den Karton und geh. Violet kommt auch ohne dich zurecht. Was sowieso ein dämlicher Gedanke war. Violet war all die Jahre ohne mich zurechtgekommen und es würde sie sicher nicht aus der Fassung bringen, wenn jemand, den sie erst seit ein paar Tagen kannte, plötzlich nicht mehr da war.
Ich drückte den Schuhkarton an mich, als es mir plötzlich die Kehle zuschnürte. Mir wurde klar, dass Violet und ich uns sehr ähnlich waren. Wir waren anders. Und allein. Doch Violet hatte etwas, um das ich sie beneidete und für das ich sie bewunderte. Sie war mit sich und ihrem Leben glücklich. Sie versuchte nicht, sich zu verstecken oder etwas zu sein, das sie nicht war. Ich dagegen wünschte mir nichts mehr, als normal zu sein. Ich wollte irgendetwas sein, nur nicht das, was ich war.
»Sebastian sucht nach dir. Alle suchen nach dir«, sagte Violet leise. Ich drehte mich um und sah, dass sie Pascal über den ledernen Nacken strich. »Was war denn los, Ari?«
»Nichts.« Ich drückte den Schuhkarton an mich. »Pass gut auf dich auf, Violet. Und bleib, wie du bist.«
Ich war schon fast aus der Tür, als sie sagte: »Das solltest du auch.«
Ich ging weiter.
Zwölf
Ich war schon in der Halle unten, als mir die Geschenke einfielen, die ich am Tag zuvor gekauft hatte, dem Tag, an dem der τέρας -Jäger auf den Markt gekommen war. Schnell stellte ich den Schuhkarten auf den Beistelltisch und holte das Spiel
Weitere Kostenlose Bücher