Dein göttliches Herz versteinert (German Edition)
weiteren großen Tür vor mir.
»Die Tür ist aus Eisen und mit neun Blut- und Schutzzaubern belegt. Die Schutzzauber werden jede Woche geändert. Um sie aufzuheben und die Tür zu öffnen, muss man die Kombination kennen und zudem noch ein Blutsverwandter sein. Außerdem gibt es noch ein paar Sicherheitsmaßnahmen in der Bibliothek selbst.«
»Und du kennst die Kombination?«
»Mein Dad hat sie mir heute Morgen gezeigt.«
Sebastian zog eine Sicherheitsnadel aus der Tasche und stach sich damit in den Finger. Dann legte er die Hand auf die Tür, in die Tausende kleiner Symbole und Linien, Schnörkel und Muster eingraviert waren. Unter seinem Finger erschien ein blassblaues Licht. Er begann, eines der Muster nachzuzeichnen.
Er zeichnete neun Muster nach. Jedes davon leuchtete blau auf und schimmerte, bis er fertig war. Es war ein Labyrinth, das ich nie hätte wiederholen können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Dann begann die Kontur der Tür zu leuchten, bis das Blau zu Weiß wurde und die Tür mit einem deutlich hörbaren Seufzer aufklappte. Sebastian sah mich an. »Das eigentliche Geheimnis liegt dahinter.«
Er stieß die schwere Tür auf. Ihr Ächzen jagte mir einen Schauer über den Rücken. Dann betraten wir ein großes Arbeitszimmer. Es sah genauso aus, wie man sich die Bibliothek eines sehr wohlhabenden Menschen vorstellte – dunkle Holzvertäfelung, riesiger Kamin, Perserteppich, Ledersessel, Lese- und Schreibtische und Bücherregale an allen vier Wänden, so hoch, dass es eine verschiebbare Leiter gab, mit der man an die oberen Bücher gelangen konnte.
»Wo sollen wir anfa… –« Ich runzelte die Stirn. »Moment mal. Ich dachte, du darfst nicht in die Bibliothek? Das ist sie gar nicht, stimmt’s?«
Er wippte auf den Füßen auf und ab und lächelte. »Nein.«
Sebastian führte mich auf die andere Seite des großen Raums und blieb vor der Ecke stehen. Bücherregale. Eine Pflanze. Eine riesige alte Vase. Ich war mir nicht sicher, was er sich dort ansah … vielleicht etwas auf dem Regal?
Ich ging näher heran.
Sebastian starrte auf die knapp zwei Meter große Vase. Sie war so groß, dass ich mich problemlos in ihrem Innern hätte verstecken können, und hatte auf jeder Seite zwei schräge Griffe, an denen Reste schwarzer Farbe zu erkennen waren. Ihr Deckel und die oben liegende Öffnung waren breiter als meine Schultern. Sie hatte einen schlanken Hals und einen Körper, der in der Mitte bauchig und dann wieder schmaler wurde, bevor er in einen etwas breiteren Fuß überging.
Die Vase war vermutlich aus Lehm oder Terrakotta und sah unglaublich alt aus. Rund um ihren Körper waren Linien, Symbole und Figuren eingeritzt.
Das Auffallendste daran war der große, gezackte Sprung an ihrer Vorderseite, der sich vom Hals der Vase bis knapp über den Sockel zog. Er war sehr tief und richtig dunkel in der Mitte, was erahnen ließ, wie dick der Rand der Vase war.
»Okay«, sagte ich. Offenbar entging mir hier etwas. »Was ist das hier?«
»Anesidoras Krug. Auch als Büchse der Pandora bekannt.«
Ich blinzelte und sah ihn skeptisch an. »Wie bitte?« Mir rutschte ein nervöses Lachen heraus. Sebastian lachte nicht, was nichts Gutes bedeuten konnte. Mein Blick wanderte von ihm zum Krug. Sebastian blieb ernst. »Ähm, ich sag’s ja nicht gern, aber das da ist keine Büchse.«
»War es auch nie. Es war immer ein Krug. Irgendein Typ hat das griechische Wort mal ins Lateinische übersetzt und es Büchse anstatt Krug genannt. Und die Bezeichnung blieb dann hängen.«
»Ich verstehe nicht, was das mit der Bibliothek zu tun hat.«
»Ari, das ist die Bibliothek. In diesem Krug ist – nein, ich zeig’s dir besser.«
Er griff nach meiner Hand, doch ich wich zurück. Das war doch wohl ein Scherz. Es musste ein Scherz sein. Richtig? Meine Skepsis wuchs.
»Ich weiß, es klingt ziemlich verrückt, aber … dieser Krug wurde einem der ersten Doués geschenkt. Ein Geschenk von einem Gott, an dessen Namen sich niemand mehr erinnern kann. Es ist ein Ort für alles, was den Vorfahren der Novem wichtig und heilig war, und wurde als Bibliothek unserer Geheimnisse weitergegeben, als Ort, den kein Gott betreten kann. In diesem Krug ist unsere gesamte Geschichte. Er kann nicht zerstört werden und bewahrt alles auf, was man hineinlegt.«
Ja, klar. »Ich dachte, man soll Pandoras Büchse nicht öffnen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Das ist vermutlich nur ein Mythos.«
Ich zog eine Augenbraue hoch.
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