Dein göttliches Herz versteinert (German Edition)
ihren Untertanen ist es nicht gelungen, den Namen des Prinzen herauszufinden. Er nennt ihr seinen Namen und überlässt ihr die Entscheidung, ob sie ihn hinrichten lassen oder lieben will. Sie entscheidet sich dafür, ihn zu lieben.« Der Bibliothekar schob mir einen Stuhl hin. »Setz dich bitte. Ich komme gleich wieder.«
Ich blieb neben einem der Tische stehen und beobachtete, wie der große bronzefarbene Automat zu dem alten Plattenspieler ging, den Tonarm hob und die Nadel wieder auf den Anfang der Oper setzte. Dann verschwand er in einem der langen Gänge zwischen den Regalen.
Ich setzte mich nicht, sondern sah mir einige Regale in der Nähe des Lesebereichs an. Sie waren mit Büchern, Manuskripten, Pergamentrollen und Schrifttafeln vollgestopft. Andere Regale enthielten Kunstgegenstände: Kästen, Krüge, kleine Statuen, Schilde und Waffen. Ich ging langsam weiter, ließ meinen Blick über die Regale schweifen und sah mir alles an.
Je weiter ich ging, desto schwächer wurde das Licht, doch es war immer noch so hell, dass ich Dinge aus fast allen kulturellen Epochen – jedenfalls aus allen, die ich kannte – erkennen konnte, dazu noch einige andere, die ich zeitlich überhaupt nicht einschätzen konnte. Der Gang endete in einem Bereich mit Tischen und Gegenständen, die nicht in die Regale passten: große Statuen von Menschen, Göttern und Tieren, ein Streitwagen, ein riesiges Ölgemälde, ein Thron aus Gold. Auf den Tischen befanden sich Schaukästen und Tabletts mit Münzen aus Gold, Bronze und Silber.
Neben mir stand ein langer Tisch aus massivem schwarzem Holz. Ein kleiner Marmorkorb, in dem ein Baby aus Marmor lag, wollte nicht so recht zu dem passen, was ich bis jetzt gesehen hatte. Aber vielleicht lag es auch daran, dass sich zwei an den Handgelenken abgebrochene Marmorhände an den hinteren Rand des Korbs klammerten.
»Das Material, das du angefordert hast, liegt vorn.«
»Oh Mann!« Wegen des Automaten würde mich irgendwann noch mal der Schlag treffen. Für einen Metallroboter bewegte sich der Bibliothekar beunruhigend leise. Wahrscheinlich war ich aber auch nur zu sehr in Gedanken versunken gewesen.
»Was ist mit der Statue da los?«, fragte ich.
»Das sind die Hände des Zeus. Und das ist das Kind, dem vom Schicksal bestimmt worden war, ihn zu töten.«
Der Bibliothekar drehte sich um. Nach einem letzten Blick auf die merkwürdige Statue folgte ich dem bronzefarbenen Automaten durch den Gang, während er die Regeln für die Benutzung der Bibliothek herunterleierte, die in etwa so lauteten:
Nicht auf Büchern, Schrifttafeln oder Pergamentrollen herumreiben.
Nicht draufpusten.
Nichts daran verändern.
Nicht laut daraus vorlesen.
Und vor allem: nichts am Schalter vorbeitragen.
Wir blieben vor einem der Tische stehen, auf dem mich vier hohe Bücherstapel, ein Haufen Pergamentrollen und zwei Tontafeln erwarteten. Du meine Güte.
Der Bibliothekar ging zum Schalter, bückte sich und holte eine lange, rechteckige Glasplatte darunter hervor. Sie wölbte sich an beiden Enden nach unten, sodass sie, als er sie auf den Tisch legte, ungefähr zehn Zentimeter von der Tischplatte entfernt war. Am Rand der Platte war etwas in das Glas graviert, Tausende winziger Symbole.
»Damit wird übersetzt, was du siehst. Stell die Platte über den Text und du wirst im Glas lesen können, was dort geschrieben steht. Und vergiss nicht, dass du dir keine Notizen machen und nichts am Schalter vorbeibringen darfst.«
Er ging weg.
»Was passiert, wenn ich es trotzdem tue?«, rief ich ihm nach.
Der Bibliothekar blieb stehen und drehte sich um. Seine künstlichen Augen machten mich wahnsinnig. »Dann hast du das Recht auf dein Leben verwirkt. So einfach ist das.«
Als ich zusah, wie er in einem der Gänge verschwand, hatte ich den Eindruck, die Temperatur in der Bibliothek wäre um ein paar Grad gesunken. Keinerlei Gefühl. Es interessierte ihn nicht im Geringsten. Die Antwort des Bibliothekars machte mir die Wichtigkeit der Regeln deutlicher als alles andere. Mein Tod wäre ihm vollkommen egal. Es würde kein Zögern und kein Bedauern geben.
Da ich nicht länger darüber nachdenken wollte, zog ich einen Stuhl zu mir und fing mit einer Tontafel an. Sie war klein, nur so groß wie ein Taschenbuch, und mit winzigen Schrägstrichen und Symbolen übersät, die in den Ton gedrückt worden waren. Ich legte sie vorsichtig unter die Glasplatte. Plötzlich bildeten sich Wörter im Glas – eine sonderbare Art der
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