Dein göttliches Herz versteinert (German Edition)
kein Ende. »Hör auf, mich so anzusehen«, knurrte er. »Nimm verdammt noch mal meine Hand und steh auf wie eine Kriegerin.«
Tränen ließen alles vor meinen Augen verschwimmen und ein dicker Kloß saß in meinem Hals, aber ich tat, was er mir befahl. Als sich die Glasscherben noch weiter in mein Fleisch bohrten, zuckte ich zusammen.
Mit ernstem Gesicht nahm Michel Sebastians Kopf in beide Hände. »Du bist … unverletzt?«
»Ja, Vater.«
Michel murmelte etwas – einen Schwall Dankesgebete und allem Anschein nach auch ein paar Flüche –, dann nahm er seinen Sohn in die Arme und hielt ihn fest.
Ein Gefühl der Einsamkeit beschlich mich. Sebastian verdrehte die Augen, doch ich sah ihm an, dass er sich über die Umarmung freute. Das Lächeln, das ich in seine Richtung schickte, war nicht echt. Es tat weh.
Ich wandte mich ab, biss mir auf die Lippen und zog eine Glasscherbe aus meinem Handballen.
»Hier.« Bran stellte sich vor mich und hielt ein zusammengeknülltes Blatt Papier gegen meine blutende Hand. »Drück das eine Weile auf die Wunde.«
»Danke.«
»Körperlicher Schmerz«, sagte er leise, »kann andere Schmerzen lindern.«
Überrascht hob ich den Kopf. Bran verstand mich weit besser, als ich gedacht hatte. Körperlicher Schmerz war mir auf jeden Fall lieber als das, was sich gerade in meinem Innern abspielte.
»Ich nehme an, du hast deinen Vater gesehen?«
Ich schloss die Augen und nickte, weil ich keinen Ton herausbrachte.
»Ari, komm«, rief Michel, während er auf die Tür des Büros zuging. »Eine warme Mahlzeit, eine heiße Dusche und ein Bett warten auf dich.«
»Und dann sprechen wir über euer kleines … Abenteuer«, versprach Josephine.
Michel gab mir dasselbe Zimmer, das ich schon einmal benutzt hatte, als ich aus Athenes Gefängnis entkommen war. Ich duschte wie in Trance, zog mich wieder an und wischte dann den Dampf vom Spiegel, um das anzustarren, was ich dort sah.
Die Wunde an meinem Kinn war rot und hob sich von meiner blassen Haut und den hellen Haaren ab. Gräulich blaue Schatten lagen unter meinen Augen, die so müde, traurig und leer aussahen. Unendlich leer.
Nach einem tiefen Seufzer riss ich mich zusammen und machte mich auf die Suche nach den anderen, obwohl ich am liebsten in das frisch bezogene Bett gekrochen wäre, um die Augen zu schließen und im Schlaf zu vergessen.
Ich entdeckte sie auf dem Balkon im ersten Stock, der auf den Innenhof hinausging. Laternen an der Hauswand tauchten alles in ein weiches gelbes Licht. Farne und andere Topfpflanzen ließen den breiten Balkon gemütlicher wirken. Als ich nach draußen trat, wehten mir die kühle Luft und Gesprächsfetzen entgegen.
Bran lehnte am Geländer und hatte die Arme vor der Brust verschränkt, Michel und Josephine saßen auf Korbstühlen, während der Butler gerade Drinks auf den Tisch stellte. Sebastian hockte an einem Ende einer Chaiselongue, die Arme auf die Knie gestützt. Als er mich kommen sah, hob er den Kopf, wobei ihm eine Strähne seiner nassen Haare in die Augen fiel. Er strich sie aus dem Gesicht und setzte sich aufrecht hin.
Ich hatte nicht die Kraft, mich von meinen Gefühlen zu distanzieren und ihnen zu sagen, was in Athenes Tempel geschehen war. Die Erinnerung daran war noch zu frisch.
»Sebastian hat uns alles erzählt«, sagte Michel mitfühlend. Er räusperte sich. »Hätte ich gewusst, dass Theron so leiden muss, hätte ich dich nicht daran gehindert, ihn zu befreien, als wir aus Athenes Gefängnis geflohen sind.«
Das war eine andere Erinnerung, auf die ich gern verzichtet hätte, und doch sprang sie mir jetzt mitten ins Gesicht. Ich hatte alle in dem Gefängnis befreit, außer meinen Vater. Er hatte im Namen Athenes wer weiß wie viele Menschen und Wesen gejagt und getötet. Er war ein Feind der Novem, ein Sohn des Perseus, und hatte meine Mutter so sehr geliebt, dass er die Göttin betrogen hatte. Und ich hätte ihn befreien können.
»Das war nicht Ihre Schuld, Michel«, erwiderte ich mit tonloser Stimme. Michel hatte zehn Jahre in Athenes Gefängnis gesessen und vielleicht war mein Vater derjenige gewesen, der ihn dort hineingebracht hatte.
»Ich kann kaum glauben, dass Sie euch zwei einfach unverletzt zurückgelassen hat«, sagte Josephine.
»Josephine, es ist mir scheißegal, was Sie glauben können oder nicht«, meinte ich müde.
»Du freches kleines –«
»Hat Sie dir einen Handel angeboten?«, warf Bran ein. Er starrte Josephine wütend an. »Hat Sie gesagt, was Sie
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