Dein Herzensprinz Prinzessin
der Bühne runter. (In solchen Momenten ist es ganz gut, wenn man einen Bodyguard hat, der einen stützen kann - Lars hatte mich inzwischen im Gewühl gefunden.) Dann gingen wir zur Limousine hinaus, wo die Mädchen warteten und eine detaillierte Beschreibung der Ereignisse verlangten. (Natürlich ließ ich ein paar der Dinge aus, die ich hier aufgeschrieben hab.) Jetzt muss ich mein Versprechen einlösen und sie ins »Nobu« einladen, wo sie alle Sushisorten durchprobieren wollen, die auf der Karte stehen.
Aber ich weiß nicht, ob ich gleich in der Lage bin, die feinen Geschmacksnuancen der von Sushimeister Mr Matsuhisa eigenhändig zubereiteten Köstlichkeiten zu würdigen, wenn ich die ganze Zeit darüber nachdenken muss, WAS ICH VERDAMMT NOCH MAL MORGEN SAGEN SOLL, WENN MICHAEL FRAGT, OB ICH IHM MEINE ARBEIT MITGEBRACHT HAB???
Ich will ja nicht vulgär werden, wie Grandmère sagen würde, aber... ich sitze ganz schön in der Scheiße.
Ich kann Michael nicht mein Buch geben. Er hat einen Roboterarm erfunden, der Menschenleben rettet. Ich hab einen Liebesroman geschrieben. Toll. Das eine lässt sich nicht mit dem anderen vergleichen.
Außerdem will ich nicht, dass ein Mensch, der von der Columbia University gerade einen Ehrenmagister verliehen bekommen hat (und der bei zahllosen Gelegenheiten seine Hand in meiner Bluse hatte), die von mir geschriebenen Sexszenen liest.
Peinlich ist gar kein Ausdruck!
Samstag, 29. April, 19 Uhr, zu Hause im Loft
Dr. G. Stöhrt hat völlig recht.
Ich muss wirklich endlich mit dieser ewigen Lügerei aufhören. Morgen werde ich Michael meinen Roman geben, wenn ich mich mit ihm zu dem Interview für die Schülerzeitung treffe (und das muss ich, wenn Lilly mir wirklich glauben soll, ich wäre heute da gewesen, um den Artikel zu schreiben, weil auf gar keinen Fall jemals ans Licht kommen darf, dass ich in Wirklichkeit da war, um Michael zu überreden, uns einen CardioArm zu verkaufen... oder um ihm zusammen mit meinen albern kichernden Freundinnen hinterherzuspionieren!).
Mir bleibt nichts anderes übrig. Er hat sich tatsächlich daran erinnert, auch wenn ich nicht verstehe, wieso er noch daran gedacht hat, weil er zweifellos der meistbeschäftigte Mann des gesamten Universums ist.
Aber wenn ich meinem Exfreund die Wahrheit über mein Abschlussprojekt sage, muss ich den Menschen, die mir noch näher stehen als er, ja wohl erst recht die Wahrheit sagen. Zum Beispiel meiner besten Freundin und meinem Freund. Alles andere wäre unfair. Ich meine, ich kann Michael unmöglich von »Geisel der Liebe« erzählen und Tina und JP weiter anlügen.
Also bleibt mir nichts anderes übrig, als über meinen Schatten zu springen und ALLEN reinen Wein einzuschenken. Und zwar noch dieses Wochenende. Am besten jetzt
gleich. So. Tina hab ich die Datei eben gemailt. Ich hatte sowieso nichts anderes zu tun, weil JP wieder sein Stück probt und ich auf Rocky aufpassen muss, während Mom und Mr G auf dem Treffen einer Bürgerinitiative sind. Dort besprechen sie, was sie gegen die New York University unternehmen können, die immer mehr Grundstücke in Greenwich Village aufkauft, um den Campus zu vergrößern und neue Studentenheime zu bauen. Wenn das so weitergeht, wohnen hier bald nur noch zwanzigjährige Filmstudenten mit superreichen Eltern, weil es sich sonst niemand mehr leisten kann.
Okay. Hier die Mail, die ich Tina geschrieben hab:
Liebe T,
hoffentlich bist du nicht sauer auf mich, wenn du das liest. Ich muss dir nämlich was gestehen. Ich hab dir erzählt, dass mein Abschlussprojekt eine Arbeit über Methoden zur Herstellung von Olivenöl in Genovia zwischen 1254 und 1650 ist, aber das war gelogen. In Wirklichkeit habe ich einen vierhundertseitigen Liebesroman geschrieben, der 1291 im mittelalterlichen England spielt und von einem Mädchen namens Finulla handelt, das einen jungen, gerade von den Kreuzzügen zurückgekehrten Ritter entführt und von ihm Lösegeld fordert, damit ihre schwangere Schwester Hopfen und Gerste zum Bierbrauen kaufen kann. Das war in der damaligen Zeit anscheinend gang und gäbe. Solche Entführungen, meine ich.
Finulla ahnt nicht, dass der Ritter in Wirklichkeit der Graf ist, dem ihr Dorf gehört. Und sie selbst hat auch ein paar Geheimnisse, von denen der Graf nichts weiß.
Ich hänge die Datei von »Geisel der Liebe« an diese Mail an. Bitte denk jetzt nicht, dass du mein Buch lesen musst (aber du kannst es natürlich lesen, wenn du Lust hast).
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