Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)
versucht, etwas Verständliches zu erkennen. Ic? IC2? Ich?
McAvoy nimmt sich ein Blatt Papier vom Block neben dem Telefon und notiert ein halbes Dutzend Varianten, die sich aus den erkennbaren Ziffern zusammensetzen lassen. Dann nimmt er den ans Netz angeschlossenen Laptop und setzt sich in den Sessel. Der Akku wärmt ihm angenehm die nackten Beine.
Er loggt sich ein. Gibt die erste Kombination ein, die sich einigermaßen sinnvoll aus dem Gewirr herausfiltern lässt. Findet lediglich eine Reihe von Seriennummern eines Kurierdienstes. Versucht die nächste. 07969 …
Volltreffer.
Es gibt drei Links. Die Telefonnummer steht in Verbindung mit drei verschiedenen Websites.
McAvoy klickt die erste an.
»Schwarze Katze, drei Jahre alt, sehr anschmiegsam, am letzten Sonntag in Anlaby entlaufen. Bitte rufen Sie an unter …«
McAvoy hofft, dass das Tier wieder aufgetaucht ist, und klickt den zweiten Link an.
»Neuer Line-Dance-Club. Interessenten aller Altersgruppen und Erfahrungsstufen willkommen. Erfahrene Tanzlehrer und lockere Atmosphäre. Jeden Mittwoch in St. Mark’s Church Hall, Anlaby Common. Rufen Sie Simon an unter 07969 …«
McAvoy nickt. Ein Bild kristallisiert sich heraus. Er ist interessiert.
Der dritte Link bringt ihn zu playmatez.co.uk. Er starrt auf den weißen Bildschirm mit dem knalligen roten Banner. Thumbnails von Frauen in Netzstrümpfen und Männern, die nackte Oberkörper präsentieren, Genitalien zur Schau stellen.
Größte Kontaktbörse im Internet! Swing as swing can!
McAvoy wendet sich vom Bildschirm ab. Sieht zur Tür. Überlegt sich eine Erklärung, falls Roisin jetzt hereinkommt.
Dann wendet er sich wieder dem Laptop zu, nicht ganz sicher, ob er als Polizist oder aus reiner Neugierde handelt.
Scrollt nach unten, bis er die Telefonnummer findet.
STECK IHN MIR REIN. MACH MICH ZU DEINEM SKLAVEN. JUNGER, SCHLANKER, UNGLAUBLICH GEILER MANN SUCHT DOMINANTEN PARTNER.
REGION ANLABY . Ruf an unter 07969 …
»Hat dir etwa jemand etwas angetan?«
McAvoy flüstert die Worte leise vor sich hin, aber sie sind befrachtet mit einem wachsenden Unbehagen.
Er kopiert das Posting. Erzeugt eine Datei auf seinem Desktop und speichert die Links und den Eintrag. Tut dasselbe mit dem Forum für entlaufene Haustiere und dem Line-Dance-Club. Fragt sich, ob das alles überhaupt etwas zu bedeuten hat. Warum er es unbedingt wissen will. Warum er das Telefon nicht einfach in den Abfalleimer wirft und zugibt, dass es ihn nichts angeht, solange kein Verbrechen vorliegt. Er fragt sich, wie er es geschafft hat, sich einzureden, dass die Sache den Zeitaufwand rechtfertigt.
»Kannst du mir mal helfen?«
Die Stimme schwebt ohne den gewohnten melodiösen Beiklang die Treppe herunter. Roisin wird immer müder und gereizter. Vorhin hat sie ihm erzählt, dass sie seit drei Tagen mit keinem Erwachsenen mehr gesprochen hat. Dass sie sich dabei ertappt hat, wie sie die Melodie von Wibbly-Pig vor sich hin summte, als sie Fin zur Schule brachte. Dass sie sich bewusst zusammenreißen musste, um letztes Wochenende in der Bäckerei nicht den Kuchen in Form der »Muh-Kuh« zu verlangen. Sie ist ausgehungert nach Stimulation. Braucht Erwachsenenzeit. Muss auch mal eine junge Frau sein dürfen, nicht immer nur Mama.
McAvoy fährt sich mit der Zunge durch den Mund, um verräterische Kekskrümel zu entfernen. Nickt leise. Fasst einen Entschluss.
»Ich hab da eine Idee …«
Er hofft, dass sie vor Freude kreischen wird, wenn er ihr sagt, dass sie heute Abend mit einem Line-Dance-Kurs in Anlaby anfangen.
»Sie müssen mich fester halten …«
Die Tänzerin riecht nach Rotwein und Knoblauchbrot, Lasagne aus der Mikrowelle und Mentholzigaretten. Ihr hübsches Gesicht mit den halbgeschlossenen Lidern ist nach oben gewandt, und an ihren Schläfen glänzt Schweiß. Sie ist Mitte zwanzig und macht das offensichtlich nicht zum ersten Mal. Sie gräbt die Zehen in den Hartholzboden und hebt den Saum ihres roten Rocks über die jungen rosigen Knie, präsentiert feste Waden und rot lackierte Zehennägel. Sie wirft die Arme mit derartiger Wildheit, dass sich McAvoy fragt, ob sie ferngesteuert ist. Sie bringt es sogar noch fertig, die Musik mitzusummen, die in McAvoys Ohren noch genauso klingen würde, wenn man sie rückwärts abspielt.
Er versucht, ihre Nähe und Wärme zu ignorieren. Konzentriert sich ganz auf die Fußarbeit. Zählt im Kopf mit. Hält sie an den Hüften, als wäre sie aus Glas. Versucht, sich daran zu erinnern,
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