Dein Kuss in meiner Nacht
war noch immer auf die Augen des Hohepriesters gerichtet. Ich wusste, dass der seltsame Einfluss, den der Tiermensch auf mich ausübte, etwas mit seinen Augen zu tun haben musste, doch so sehr ich es auch versuchte, ich konnte den Blick nicht abwenden.
***
»Ab jetzt dürfen wir nicht mehr reden«, sagte Cole flüsternd. »Wir sind nah beim Dorf und sie haben sicherlich Späher hier aufgestellt.«
»Was machen wir jetzt?«, wollte Cherryl wissen. »Wenn wir weitergehen, entdecken sie uns dann nicht?«
»Ich gehe allein«, sagte Cole bestimmt und legte den Zeigefinger an ihren Mund, als sie etwas erwidern wollte. »Allein kann ich es schaffen, also mach mir keinen Ärger. Komm, ich zeige dir, wo du auf uns warten wirst.«
»Ich will aber nicht allein hier warten«, zischte Cherryl.
»Ich kann Faith nicht retten, wenn ich auch noch auf dich achtgeben muss.«
»Ich verspreche, dass ich immer hinter dir bleibe und keinen Laut von mir gebe. Bitte!«
»Es geht nicht. Hast du schon mal einen Menschen getötet?«, fragte er und schaute sie eindringlich an.
»Natürlich nicht! Was soll die blöde Frage?«
»Bist du bereit, einen Menschen zu töten?«
»Ich ... Wieso ... Nein!«, stammelte sie.
»Wenn ich jetzt gehe, dann kann es sein, dass ich kämpfen muss, töten muss und wenn du mitkommst, dann heißt es entweder töten oder getötet werden . Kannst du das?«
»Nein«, antwortete Cherryl leise. Sie war blass geworden und Cole war erleichtert, dass sie offenbar verstanden hatte.
»Dann komm«, sagte er und verschwand im Gebüsch. Cherryl folgte ihm und er zeigte ihr eine Stelle, wo ein Hohlraum unter einem umgestürzten Stamm ein gutes Versteck bot. Da das Loch von dem Gestrüpp, das davor wuchs, verdeckt wurde, konnte man die Stelle nur entdecken, wenn man sich durch das Gebüsch schlug.
Er ließ Cherryl in ihrem Versteck zurück und ging weiter in Richtung des Dorfes. Er hatte ihr nicht ganz die Wahrheit erzählt. Er würde sich nicht an den Wachposten vorbeischleichen, aber es würde wahrscheinlich zu keinem Kampf kommen. Zumindest nicht mit den Wachen. Er würde den Häuptling herausfordern. Das war die einzige Chance, Faith dort herauszubekommen. Es gab keinen Weg, wie er es mit Hundert oder mehr Kannibalen aufnehmen konnte und genauso wenig konnte er sie unbemerkt dort herausschmuggeln. Er hoffte, dass das Glück auf seiner Seite war, denn Glück würde er brauchen, wenn er den Kannibalenhäuptling besiegen wollte.
***
Das Becken war nicht sonderlich tief und so ging mir das Blut nur bis zur Mitte meiner Oberschenkel, als mein Körper in der Mitte des Pools stehen blieb. Noch immer war mein Blick starr auf die Augen des Tiermenschen gerichtet. Mir war übel von dem schweren, metallischen Geruch des Blutes. Das Gefühl, in einem Körper eingesperrt zu sein, der mir nicht mehr gehorchte, ließ einen Anflug von Klaustrophobie in mir aufsteigen. Zu meinem Entsetzen spürte ich, wie etwas Schlüpfriges an mir hochkletterte und sich wie eine zweite Haut um mich legte. Gleichzeitig schien irgendeine Macht in meinen Kopf, in meine Gedanken zu dringen. Ich konnte das Böse spüren, dass sich in meinem Gehirn ausbreitete. Ich wollte es bekämpfen, es mit aller Macht zurückdrängen, doch es drang unaufhaltsam weiter vor, bis sich eine alles verschlingende Dunkelheit über mich legte.
K
apitel 10
»Nun? Ich hoffe, du bringst mir gute Neuigkeiten.«
Narjana schaute den Seeker vor ihr ungeduldig an.
»Ich ... ich fürchte ...«, begann der Seeker stammelnd.
»Was?«, unterbrach Narjana ihn scharf und ließ die Hand zu dem Dolch gleiten, der an ihrem Gürtel hing.
»Du hast recht gehabt, dass sie sich in Saja ign Jana befindet ... oder befand, denn sie ...«
»Wurde sie getötet?«, rief Narjana. »Muss ich dir denn alle Wörter einzeln aus der Nase ziehen?«
»Nun ja, sie wurde nicht getötet, sie ...«
»Was dann? Verkauft?«
»Sie ist ... geflohen. Zusammen mit einer anderen Sklavin.«
Narjana stieß einen wütenden Schrei aus. Sie nahm den Dolch und ließ die Klinge über die Kehle des unglückseligen Seekers gleiten, der das Pech hatte, die schlechte Nachricht überbringen zu müssen. Mit einem gurgelnden Geräusch brach der Mann zu ihren Füßen zusammen.
»Wenn du so weitermachst, wird die Umbra Fragen stellen«, sagte Uloup. »Du kannst nicht einfach jeden töten, der dir schlechte Nachrichten überbringt.«
»Sei lieber still, sonst bist du der nächste! Wenn ich das Mädchen nicht kriege,
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