DEIN LETZTER TANZ
Nerven.
Trotz allem gelang es ihr irgendwie, ihren Auftritt gewohnt professionell über die Bühne zu bringen. Noch erleichterter war sie jedoch, als die Show knapp eine Dreiviertelstunde später zu Ende war. Dieses Mal hatte es keinen Zwischenfall, kein Attentat gegeben. Trotzdem war dies kein Grund für die Zirkusleute, in Jubel auszubrechen, denn die Zuschauerreihen waren an diesem Abend kaum zu einem Viertel gefüllt gewesen.
„Wenn sich die Lage nicht bessert, weiß ich wirklich nicht, wie es weitergehen soll“, hörte Donna ihren Vater zu seinem engsten Vertrauten sagen, als die beiden sich unbeobachtet glaubten. „Es muss etwas passieren – und zwar bald, sonst können wir unsere Zelte demnächst für immer abbauen.“
Donna schnürte es fast die Kehle zu. Sie setzte sich auf die unterste Stufe der Vortreppe ihres Wohnwagens und barg das Gesicht in den Händen.
Was für eine Katastrophe!
Sie konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass es den Zirkus eines Tages einfach nicht mehr geben sollte. Solange sie zurückdenken konnte, reiste sie nun schon mit ihren Eltern durch das Land. Früher hatte sie manchmal davon geträumt, dass sie einfach irgendwo sesshaft werden und wie eine normale Familie zusammenleben würden. Damals war es nicht leicht für sie gewesen, alle paar Wochen in eine andere Stadt umzusiedeln, immer neue Leute kennenlernen und neue Kontakte knüpfen zu müssen.
Heute jedoch wollte sie gar nicht mehr anders leben. Sie war ein Zirkusmensch, durch und durch. Die Manege war ihr Reich. Sie brauchte den Applaus und den Jubel des Publikums wie die Luft zum Atmen.
Was sollte aus ihr und den anderen werden, wenn es den Zirkus nicht mehr gab?
„Hey, was ist denn mit dir los?“
Es war Keisha, die auf sie zukam. „Du machst ein Gesicht, als wäre jemand gestorben. Dabei ist die Vorstellung doch eigentlich ganz gut gelaufen. Oder hab ich was verpasst?“
„Die Vorstellung war okay, aber es waren kaum Leute da.“
„Na ja, ihr gastiert ja nun auch noch eine ganze Weile in Deadman’s. Da kann ja nicht jeden Tag was los sein, oder?“
Donna schüttelte den Kopf. „Das hat damit nichts zu tun. Normalerweise können wir gut und gerne drei bis vier Wochen an einem Platz bleiben, ohne dass die Einnahmen so schwanken. Hier in der Gegend gibt es einen ganzen Haufen kleinerer Ortschaften, die sich in unserem Einzugsgebiet befinden. Nein, es liegt an etwas anderem, dass unsere Besucherzahlen plötzlich sinken.“
„Du meinst die Anschläge, stimmt’s?“
„Klar. Das ist doch nur logisch, oder? Schlechte Publicity ist für einen Zirkus tödlich. Mag sein, dass ein paar Leute kommen, gerade weil sie hoffen, dass wieder etwas passiert. Aber Familien mit Kindern?“ Sie seufzte. „Also, ich würde es mir als Mutter auch zweimal überlegen, ob ich ein solches Risiko eingehen will.“
„Aber das gibt sich früher oder später doch auch wieder. Wart’s ab: In ein paar Tagen ist die ganze Geschichte nur noch Schnee von gestern.“
„Ja, und vielleicht nicht nur die.“
„Was willst du damit sagen?“
„Der Zirkus steht finanziell ziemlich schlecht da. Wenn nicht bald was passiert, können wir dichtmachen.“
Entsetzt schaute Keisha sie an. „Und was geschieht dann mit dir und deiner Familie? Und was ist mit den anderen Artisten und den ganzen Tieren?“
„Frag mich was Leichteres.“ Donna lächelte traurig. „Wir müssen diesen Mistkerl, der uns die ganze Zeit Schwierigkeiten macht, irgendwie schnappen. Wenn wir einen Schuldigen präsentieren können, haben wir vielleicht noch eine Chance, das Vertrauen der Leute hier in der Gegend zurückzugewinnen.“
Keisha seufzte. „Komm, lass uns in deinen Wagen gehen. Mal schauen, was so im Fernsehen läuft. Ich weiß ja nicht, wie’s dir geht, aber mit einer schönen Soap kann ich mich immer am besten von Problemen ablenken.“
„Mir egal“, erwiderte Donna. „Ich glaube eh nicht, dass ich mich auf irgendwas konzentrieren kann.“
„Hast du das gerade gesehen?“ Aufgeregt deutete Donna auf den Fernseher, der die ganze Zeit eigentlich nur unbeachtet vor sich hin flimmerte, während die Mädchen sich miteinander unterhielten.
„Gesehen?“ Keisha blinzelte überrascht. „Was denn?“
„Da war gerade unser alter Clown Bruno im Bild.“
„Im Fernsehen? Machst du Witze?“
„Sehe ich aus, als wäre ich zu Scherzen aufgelegt?“ Donna schüttelte den Kopf. „Nein, nein, das war Bruno, ganz sicher. Und …“
„Psst, sei doch
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