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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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menschlichem Leben, ist fast, wie ein Ameisenhaufe, geworden. Aber noch giebt es eine Stelle, wo der alte Himmel und die alte Erde mir lacht. Denn alle Götter des Himmels und alle göttlichen Menschen der Erde vergeß’ ich in dir.« Am Freitag, dem 30. Dezember 2006, ist es im Bergischen Land 0:47 Uhr auf dem Wecker, der übrigens 22,1 Grad anzeigt, ohne den Leser zu überzeugen, wenigstens den zweiten Pullover auszuziehen. Im sonst schwarzen Fensterglas spiegeln sich sein Gesicht und die Schreibtischlampe, rechts von ihm auf dem Schlafsofa die Tochter, hinter ihm die Frau im Doppelbett, die sich in ebendieser Minute, 0:49 Uhr, aufrichtet. … Er ist zu ihr gegangen, sie hat sich in seinen Arm verkrümelt (»Krümel« nennt die Tochter das Ungeborene, solange sie dessen Geschlecht nicht kennen) und ist mit einem Kuß in ihren Traum zurückgekehrt, in den sie den Leser mitgenommen haben mag. 1:04 Uhr. Keine andere Dichtung wäre ohne das Leben so viel weniger als diese, die gerade nicht Erlebtes zum Ausdruck bringen, sondern absolute, geradezu substanzlose Poesie sein will. Die Briefe Hyperions an Diotima erscheinen so geschraubt wie in der ersten Lektüre. Die Briefe von Suzette Gontard, die der Leser zwischen den Bruchstücken vorfindet, sind für sich keine Literatur. Aber die Behauptung der denkbar reinsten Liebe, unterbrochen von der Wut auf reale Verhältnisse, die sich von der beschämenden Heimlichkeit auch noch viel zu rasch in die niederschmetternde Unerfülltheit wandten, wird zur schwarzen Schau. »Alle 2 Monathe den bestimmten Donnerstag Abends 9 Uhr unter dem Fenster mit der allergrößten Vorsicht« solle Hölderlin erscheinen, bittet Suzette: »Ich würde dann sehen, daß du noch und gesund bist. Wie viel ist das schon für mein Herz!« Weil Briefe entdeckt werden können und daher nicht ratsam sind, späht sie in seinen Schriften »wie dir wohl zu Muthhe ist und dich gewiß darin erkennen«. Natürlich späht der Leser mit ihr. Hölderlin hat die Liebe ja geschmeckt, nicht als philosophische Idee, sondern während des Aufenthalts in Bad Driburg im Spätsommer 1796 doch wohl aufgesogen aus allen Körperöffnungen Suzettes tief, ihren Schweiß, als man sich noch nicht täglich duschte, ihre Lust, damals noch anrüchiger vermischt mit Urin, hat wie die vielen Gottsucher, die darüber närrisch wurden, als körperliche Erschütterung erfahren, daß es die Einswerdung gäbe – aber nur für ihn nicht gibt, nicht mehr, nie wieder: »Was ist’s denn, daß der Mensch so viel will? Was soll denn die Unendlichkeit in seiner Brust? Unendlichkeit? wo ist sie denn? wer hat sie denn vernommen? Mehr will er, als er kann! das möchte wahr seyn! O, das hast du oft genug erfahren.« Das Verlangen verliert nichts von seiner poetischen Höhe und Vieldeutigkeit, wenn man seinen praktischen Boden kennt: einmal, nur einmal, von Suzette mehr zu empfangen als einen Zettel, den er alle zwei Monate aus dem Gras vor ihrem Fenster aufliest, sofern die Umstände günstig und niemand ihn beobachtet. Doch die Befriedung reduziert sich darauf, daß die vereinbarte Uhrzeit um zwei Stunden nach hinten verlegt wird, damit er in Homburg nicht schon vor dem Morgengrauen aufbrechen muß zu seinem Stelldichein in Frankfurt. Eine solche Erleichterung ist Hohn. »Besser ein Opfer der Liebe, als ohne sie noch leben«, redet sich Suzette stark, doch Hölderlins Kräfte zur romantischen Überhöhung schwinden. Zuerst konzediert er noch: »Es ist wohl der Thränen wert, die wir seit Jahren geweint, daß wir die Freude nicht haben sollten, die wir uns geben können.« Später bricht es aus ihm heraus: »Aber es ist himmelschreiend, wenn wir denken müssen, daß wir beide mit unsern besten Kräften vielleicht vergehen müssen, weil wir uns fehlen.« Immer habe er die Memme gespielt, um sie zu schonen, schreibt Hölderlin an Suzette, hätten sie beide getan, als könnten sie sich ins Unvermeidliche schicken, habe sie heldenhaft geduldet, doch »dieser ewige Kampf und Widerspruch im Innern, der muß dich freilich langsam tödten, und wenn kein Gott ihn da besänftigen kann, so hab’ ich keine Wahl, als zu verkümmern über dir und mir, oder nichts mehr zu achten als dich und einen Weg mit dir zu suchen, der den Kampf uns endet«. Den Gedanken an einen

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