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gemeinsamen Freitod behält Hölderlin freilich für sich â der Brief bricht inmitten des nächsten Satzes ab und wird nie abgesandt. Wie in aller mystischen Dichtung konvergieren AuÃen- und Innenwelt, Sein und Gegenüber, wird die Sehnsucht nach der Geliebten ununterscheidbar von der Sehnsucht nach dem Absoluten, ist Vereinigung sexuell und seelisch zugleich gemeint: »Ich sollte schweigen, sollte vergessen und schweigen. Aber die reizende Flamme versucht mich, bis ich mich ganz in sie stürze, und, wie die Fliege, vergehe.« Der Liebende gibt sich nicht jemandem hin, er gibt sich auf; nicht Aufopferung, denn sie impliziert, daà einem Gegenüber geopfert wird, vielmehr Auflösung im Gegenüber, damit Vernichtung, um geheilt zu werden: Stirb, bevor du stirbst, wie es der Prophet sagt, oder: »Wir trennen uns nur, um inniger einig zu seyn, götterfriedlich mit allem, mit uns. Wir sterben, um zu leben.« Wie in allen mystischen Traditionen liegt die angestrebte Versenkung jenseits der Sprache, ist die Einswerdung nicht denk-, sondern nur erlebbar: »Was ist die Weisheit eines Buchs gegen die Weisheit eines Engels?« Und in allen mystischen Traditionen wird mit ähnlichen Bildern der Zustand umschrieben, während dem der »Verlierende«, fâqid , wie die islamischen Mystiker den Erlebenden nannten, im Verlust des Eigenen zum »Findenden« wird, zum wâdjid : »Es giebt ein Vergessen alles Daseyns, wo uns ist, als hätten wir alles gefunden, eine Nacht unsrer Seele, wo kein Schimmer eines Sterns, wo nicht einmal ein faules Holz uns leuchtet.« Nicht Goethe mit seinem gelehrten Diwan oder Rückert mit seinen kunstfertigen Ghaselen, nein, Hölderlin, der sich für den Orient nicht sonderlich interessierte, ist der Sufi der deutschen Literatur, der Sonderling, der Närrische und Verlachte, bis hin zum Aufschrei, zum Verglühen, zur Auflösung. Die anderen schreiben über Mystik, er verkörpert sie: »Nimm mich, wie ich mich gebe, und denke, daà es besser ist zu sterben, weil man lebte, als zu leben, weil man nie gelebt! Neide die Leidensfreien nicht, die Gözen von Holz, denen nichts mangelt, weil ihre Seele so arm ist, die nichts fragen nach Reegen und Sonnenschein, weil sie nichts haben, was der Pflege bedürfte. Ja! ja! es ist recht sehr leicht, glüklich zu seyn mit seichtem Herzen und eingeschränktem Geiste. Gönnen kann man manâs euch; wer ereifert sich denn, daà die bretterne Scheibe nicht wehklagt, wenn der Pfeil sie trifft, und der Topf so dumpf klingt, wenn ihn einer an die Wand wirft?« Besser zu sterben, weil man lebte, als zu leben, weil man nie gelebt â das ist sufischer O -Ton, zehntes Jahrhundert, und klingt zweihundert Jahre nach Hölderlin zugleich wie eine Fanfare des Rock ânâ Roll: Itâs better to burn out than to fade away . Natürlich bezieht sich Hölderlin durchgehend auf das Christentum. Was dem Leser, weil er Orientalist ist, sufisch anmutet, aber in allen mystischen Traditionen Belege fände, entsteht dort, wo Hölderlin vom christlichen, also personal verstandenen Begriff des Heiligen fort- und zugleich zurückschreitet zu der Abstraktion des reinen Anderen, einem bloÃen Pneuma, das nicht mehr und noch nicht Subjekt ist. Dadurch ist das eigentümlich Beherrschte der religiösen Erfahrung aufgehoben, auf die das Neue Testament durch die Ausrichtung auf ein reales Gegenüber zielt, und das Selbst entfesselt: »Eines zu sein mit Allem, das ist Leben der Gottheit, das ist der Himmel des Menschen. Eines zu sein mit Allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden, das ist die heilige Bergeshöhe, der Ort der ewigen Ruhe, wo der Mittag seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert und das kochende Meer der Woge des Kornfelds gleicht. Eines zu sein mit Allem, was lebt!« Eines zu sein wenigstens mit der eigenen Frau wird der Leser wieder vermasseln, der morgen, nein, heute abend mit der Tochter in den Skiurlaub fliegt, obwohl sie schwanger auf ihren Hormonen Achterbahn fährt.
Staging bedeutet nicht allgemein »Diagnose«, sondern bezeichnet in der Onkologie die Feststellung, wie weit ein Tumor fortgeschritten ist, erklärt der Orthopäde, bevor er das Hotelzimmer für eine Massage verlieÃ. Der Urlauber sitzt auf dem gemeinsamen Bett und wartet auf die
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