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überhaupt. Staging scheint der Fachbegriff zu sein. Im Wörterbuch, in dem er während des Telefonats nachschlägt, findet der Freund aus Köln keine andere Ãbersetzung als »Inszenieren, Inszenierung, Bühne«. Als Verb ist die Bedeutung ähnlich: »inszenieren, aufführen, auf die Bühne bringen, veranstalten«. Ob Ãrzte sich das Bekanntgeben der Diagnose als eine Aufführung vorstellen, mit der mehrere Monate harter Arbeit zu Ende gehen? Und wären sie der Regisseur und der kranke Körper das Ensemble, oder sind sie die Schauspieler und die Frau des Bildhauers das Stück? Wer wird entlassen, wenn die Inszenierung durchfällt? Vielleicht darf weitergeprobt werden. Eine weitere Chemotherapie macht die Gnädige Frau nicht mit, ist der Bildhauer überzeugt. Offenbar vom Ausdruck staging angeregt, das in seinem bayrischen Tonfall noch fremder klingt als ein Fremdwort, sagt er, daà wir das Leben nur geleast hätten. Alles, was wir hätten, gehöre nicht uns. Wir müÃten es mit Zinsen zurückgeben. Leasing ist fast so falsch wie staging . Das Prinzip des Leasens ist doch, soweit der Freund weiÃ, daà man im Normalfall das geliehene Auto gegen ein Neues eintauscht, das ebenfalls geliehen ist: Es beruht darauf, daà die Miete steigt, aber das Einkommen auch, ansonsten kann man immer noch den Typ wechseln oder die Marke. Im Normalfall bleibt man Autofahrer und steigt nur in einen neuen, sogar wertvolleren Wagen. To lease heiÃt »pachten«, gibt das Wörterbuch recht. Mit dem Leben sei es anders, sagt der Freund. Das leiht man sich, und wenn die Frist vorbei ist, muà man auÃer den Zinsen noch das biÃchen Glück, das man sich erworben, in monatlich steigenden Raten des Zerfalls abführen. Im Normalfall kann das nur ein Verlustgeschäft sein, bei dem man nicht einmal die Wahl hat, es einzugehen. Man wird in einen Vertrag hineingeboren, der gegen allen Anstand verstöÃt, Gott: ein Wucherer. Das Bild gefällt dem Bildhauer natürlich. Gut, sagt er, wir haben das Leben nicht geleast, sondern geliehen â zu Konditionen geliehen, die niederträchtig sind, fügt der Freund zur Sicherheit hinzu. Auch ohne den Roman, den ich schreibe, riefe er am Abend des 2. Januar 2007 in München an. Im Roman, den ich schreibe, ist jedoch schon lange niemand gestorben. Was der Romanschreiber erlebt, ist so relevant oder irrelevant wie auf der ersten Seite, allein ohne die Spannung, die der Tod noch in den abgeschmacktesten Fernsehfilmen erzeugt, wird In Frieden zum gewöhnlichen Tagebuch eines Lebens, das nun einmal das seine und nicht besonders ist, je länger niemand anders zu bedenken.
Seine Liebe ist neu entflammt, seine Familie wiedervereinigt, seine Frau nicht nur wundersam geheilt, sondern zum zweiten Mal schwanger, als der Leser zum Hyperion zurückkehrt. Das Beseelte, das er vorher kaum aushielt, dieser durchlaufend hohe Ton erscheint ihm jetzt wie ein Kode, eine Kunstsprache, dank der Hölderlin über die Psychologie hinausweist, die Goethe im Werther von der ähnlich stürmischen Liebe des Empfindsamen zur Anmutigen nur behauptet. Der Vorzug des Hyperions , Seelenregungen nicht als psychologisch zu behaupten, die theologisch und poetisch gewollt sind, ist schon auf der elementarsten Ebene zu beobachten: Hölderlin übertreibt so sehr mit seinen Heulkrämpfen, Seufzereskapaden und FuÃfällen, daà man sich die beschriebenen Situationen nur einmal konkret vorstellen muÃ, um das Zeichenhafte zu erkennen, den Formalismus aller Gesten und Wörter; es muà nicht einmal der Verbalorgasmus sein, zu dem jedes Techtelmechtel gerät. Will Hölderlin wirklich glauben machen, daà Menschen â und zwar nicht nur die Verliebten â alle naslang in einen Taumel geraten, bei der BegrüÃung heulen und bei jedem Wort voreinander niederfallen oder gleich die Besinnung verlieren? Das ist in der Ãberspanntheit so unrealistisch und zugleich wahr wie die elftausend Jungfrauen Ursulas. Nicht nur ein Leben â das Leben; nicht nur eine Liebe â die Liebe; nicht nur die Erde â auch das Ãberirdische, die Vereinigung nicht nur mit der Geliebten, sondern zugleich mit dem All: »Ich habe dirâs schon einmal gesagt, ich brauche die Götter und die Menschen nicht mehr. Ich weiÃ, der Himmel ist ausgestorben, entvölkert, und die Erde, die einst überfloà von schönem
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