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Beute eines einzigen Jagdausflugs auf die Halbinsel Mian Kaleh am Kaspischen Meer bestand unter anderem aus hundertfünfzig Hirschen, achtzehn Leoparden, fünfzehn Tigern, obwohl das dauernde SchieÃen alle Tiere in dem relativ kleinen Gebiet (sechzigtausend Hektar) aufgeschreckt hatte und der Prinz »Tausende und Abertausende Tiere davonrennen« sah. Ihm selbst gehörte eine Gebirgsgegend etwa achtzig Kilometer südlich von Isfahan, Qamischlu genannt, die ihm »mehr wert war als alles Geld«. Trotz der finanziellen Nöte, die seinen hohen Ausgaben fürs Militär geschuldet waren, weigerte sich Zell-e Soltan daher, die Jagdrechte von Qamischlu zu verleihen. Wenn der Enkel sich nicht täuscht, sind auf dem Satellitenbild des heutigen Städtchens sogar Autos zu erkennen. Ansonsten machen die Suchworte »Zelle« und »Soltan« mit einem Maher Soltan bekannt, der seine Zelle in Abu Ghreib nicht einmal für einen Hofgang verlassen durfte. »Ich wurde gefoltert und in einer kleinen Zelle eingesperrt, vier mal fünf Meter«, berichtet er: »Was glauben Sie, wie viele Menschen da reinpassen? Vier oder fünf vielleicht? Nein, wir waren dreiÃig Menschen in dieser Zelle, Tag und Nacht, sieben Jahre lang in dieser Zelle.« Sein Prozeà dauerte nur fünf Minuten. Der Richter gratulierte, daà er Maher Soltan nicht zum Tod verurteilt hatte. »Es gab unzählige Morde, Menschen aus der Schiitengemeinde verschwanden, schiitische Geistliche wurden getötet«, zitiert der Artikel die Generalsekretärin von amnesty international : »Von den frühen achtziger Jahren an verschwanden so wahnsinnig viele Menschen, und bis zum heutigen Tag weià niemand, was mit ihnen geschehen ist.« Maher Soltan wünscht sich Gerechtigkeit, nicht Rache. Wenn er einen seiner Peiniger träfe, würde er ihn vor Gericht bringen wollen, nichts weiter. Seine Rache wäre, daà Recht gesprochen würde. »Ich habe zehn Jahre meines Lebens verloren. Ich wurde gefoltert, meine Brüder wurden gefoltert. Aber wir haben überlebt, wir haben überlebt, weil wir uns mit aller Kraft ans Leben geklammert haben.« Der Handlungsreisende hatte bei Abu Ghreib auch erst an die Amerikaner gedacht. Der Freund aus Haifa, der im selben Hotel untergebracht ist, entschuldigt sich am Dienstag, dem 19. Dezember 2006, um 3:33 Uhr oder 3:57 per Mail. Wofür? fragt der Handlungsreisende zurück. Im Kulturkanal spricht derweil ein nervenkranker Biologe, der mit dem Beruf aufgehört hat, als er sich während einer Vorlesung umdrehte und einen Studenten sah, der ihn imitierte. Mit der Präzision, die sein Beruf verlangt, seziert der Biologe seine Scham und Not. Im tiefsten Unglück ein Gefühl des Glücks zu haben sei möglich, sagt der Biologe allerdings auch. Abflug ist, der Handlungsreisende sieht sicherheitshalber noch einmal nach, um 8:20 Uhr. Neulich ist der Biologe in Berlin, wo der Handlungsreisende im Hotelbett liegt, eine EinkaufsstraÃe auf und ab gelaufen, ohne anhalten zu können, ein explosiver Gang, der schrecklich aussieht, weià ein zwischengeschalteter Neurologe, ein Zittern der FüÃe. SchlieÃlich lieà der Biologe sich mitten auf dem Bürgersteig fallen. »Daà unser Umgang ploetzlich so quietschte«, antwortet der Freund aus einem der Nebenzimmer. »Musste nicht sein und ist, glaube ich, auch wirklich meine Schuld gewesen. Muss dich wohl verwechselt haben. Aber das sind wirklich schlimme Zeiten und ich bin total pessimistisch. Wir werden das dort nicht mehr lange halten koennen. Zuviel schon kaputt. / Deine Kafkarede ist schoen und sie ist auch ruehrend (nicht wirklich das richtige Wort). Dieses nicht-ethnische Deutschsein ist schon eine Qual (in einem Vortrag ueber das Deutsche habe ich mal gehoert: manche sinds und manche koennens. Ich habe ja mein Deutsch erst mit 6 gelernt, bis dahin nur Yiddisch geredet. Am Ende dachte ich, die Auswanderung hierher kann das alles loesen. Auch falsch. Wenigstens muss ich nicht mehr der deutschen Kulturnation angehoeren.« Für Hölderlin, den der Handlungsreisende als nächstes Mittel probiert, um schläfrig zu werden, nimmt im fünften Band schon die freche Ansage an Schiller und Goethe ein, die ihn zur Bedächtigkeit aufriefen. Weichlinge nennt er sie. Souverän läÃt Schiller das Wort in seinem Redigat stehen, das Hölderlin vollständig übernimmt.
Die Kolonne
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