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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Neujahrsnachrichten des deutschen Fernsehens, das gestern die Hinrichtung Saddam Husseins zeigte. Anders als seine schiitischen Henker, deren Heilrufe auf den Propheten und dessen Familie dem Zuschauer vertraut waren, hat der Diktator Würde bewahrt, schämte sich der Urlauber zuzugeben. Weil die Tochter und die Nichte mitsahen, schaltete er für ein paar Sekunden auf einen Schweizer Kanal. Wie die letzten Atemzüge Saddam Husseins verpaßte der Urlauber später auch den Jahreswechsel. Weltweit haben Milliarden Menschen das neue Jahr begrüßt, meldet das deutsche Fernsehen soeben – nur nicht der Urlauber unter Milliarden, den der Vorwurf der Frau niedergeworfen hatte, in den Skiurlaub gefahren zu sein. Bis zum Tag vor der Abreise hatte sie ihn unter Verweis auf die Tochter, die sich so freuen würde, bedrängt zu reisen, indes heimlich erwartet, wie sich am Tag der Abreise herausstellte, daß er sie nicht ausgerechnet Silvester allein läßt. – Aber du wolltest doch zu deinen Eltern fahren? hatte er konsterniert gerufen und damit nur seine Ignoranz offenbart. Daß es soviel Unglück gibt auf der Welt, ist das eine, die Vergänglichkeit und daß die Gnädige Frau womöglich morgen beim staging durchfällt; doch wer ist anzuklagen für das enorme Vermögen des Menschen, selbst im Segen, den die Eheleute zur Zeit aller Verhältnismäßigkeit nach genießen oder genießen müßten nach dem geradezu wundersamen Ende eines schlimmen Jahres, wer ist anzuklagen für das Vermögen, selbst unter den objektiv glückhaftesten Umständen deprimiert zu sein? Das ist nicht Metaphysik, sondern die reine Idiotie, die so groß ist, daß sie schon wieder zur Metaphysik gereicht: Den Autopilot ins Mißgeschick scheint der Schöpfer serienmäßig eingebaut zu haben.
    Der Tumor ist viel kleiner geworden. Vorher sah er aus wie Deutschland, jetzt – im Verhältnis – nur noch wie Nordrhein-Westfalen, erklärt die Gnädige Frau in München. Allerdings empfehlen die Ärzte zwei weitere Chemotherapien, eben weil die Behandlung offenbar wirkt. Der Tumor könne rasch wieder wachsen. Die Gnädige Frau sagt, daß sie sich zunächst geweigert habe, einen weiteren Zyklus auch nur zu erwägen; aber als sie gemerkt habe, wie schnell die Ärzte bereit sind, den Fall als erledigt zu betrachten, sei sie ins Grübeln gekommen, seltsam enttäuscht, daß niemand Widerstand leiste gegen ihren Tod. Der Bildhauer fragt nach der Fortsetzung des Romans, den ich schreibe, indem er sich erkundigt, an was der Freund in Köln zur Zeit arbeite. Der Freund windet sich mit dem Skiurlaub und der Reportage aus Afghanistan heraus. Wenn irgendwer, dann werden der Bildhauer und die Gnädige Frau urteilen, ob der Roman Verrat ist, den ich schreibe.
    An der Stelle, auf die alles ankommt, sprengt Hölderlin allerdings die mystische, also auch die christlich-mystische Tradition, und nimmt zugleich unerwartet die Kreuzestheologie wieder auf. Hölderlin sprengt auch sein eigenes Vorhaben, sofern das frühere Fragment des Hyperion im vierten Band als ein Entwurf gelesen werden darf. Dort trällert noch die Sehnsucht ihr profilneurotisches Lied wie im Werther – wohin er blickt: sie!, was immer er sagt: sie!, was immer sie sagt: ja! Solche Liebesverhältnisse sind nicht mehr zu ertragen, seit sie psychologisch ausschraffiert werden: Aber den entscheidenden Schritt in das Unbekannte, den der Roman und mit ihm Friedrich Hölderlin als Dichter tut, geschieht zwischen dem ersten und zweiten Teil der letzten Fassung, also genau in den Monaten der entwürdigenden Zettelsucherei vor Suzettes Fenster im Sommer und Herbst 1798. Quälender als der Falter verbrennt die Kerze. Es ist nämlich gerade nicht Hyperion, sondern Diotima, die klagt: »Dein Mädchen ist verwelkt, seitdem du fort bist, ein Feuer in mir hat mählig mich verzehrt, und nur ein kleiner Rest ist übrig.« Während Hyperion sich als Schwärmer erweist, für den die Heftigkeit seiner Liebe etwas Entlastendes, Kathartisches hat, damit er sich um so selbstsüchtiger der Welt zuwendet, dem Kampf, dem Erfolg, dem Ruhm, ist es Diotima, die verändert zurückbleibt: das baqhâ fi l-fanâ erreicht, das allerdings tragisch gedeutete »Bleiben im Entwerden«, von dem die Sufis sprechen, beziehungsweise Heilignüchterne, wie Hölderlin selbst den Zustand

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