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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Womanizer, der sich auf den Photos von früher andeutet. Alle anderen Charakterisierungen fügten sich in das Bild, das auch ich von ihm gewonnen hatte.
    Und doch behaupte ich, noch jemand anders getroffen zu haben. So auffallend Hondrich darum bemüht war, sich vom Tod zu keinem anderen Menschen machen zu lassen – er wußte um die Vergeblichkeit. Illusionslos auch gegenüber sich selbst, wußte er, dessen bin ich mir sicher und das meine ich wahrgenommen zu haben, daß das Bild, das er von sich zeigte, nicht alles war, nicht das ganze Bild. Er war identisch mit sich auch im Bewußtsein, daß niemand identisch ist mit sich, und nüchtern genug, um vorauszusehen, daß die Nüchternheit nicht aufrechtzuerhalten sein würde. Am Ende wimmerst du. Aller Realismus hilft nicht, die Realität zu ertragen. Aber wenn das so ist, wenn das ohnehin so ist und bei jedem, muß man nicht auf den Marktplatz mit seiner Furcht. Wenigstens nach außen Würde zu bewahren ist der letzte Widerstand gegen einen übermächtigen Gegner: fortzufahren, bis es nicht mehr geht – und dann, so lautlos es einem vergönnt sein mag, zu verschwinden. Mit letzter Kraft stellte Hondrich noch das Buch fertig, das drei Monate nach seinem Tod erschien, und gab auf, ohne zu klagen, ohne zu trösten, weitgehend stumm, mit letzten Anweisungen für die eigene Trauerfeier, die nicht pompös, aber auch nicht gewollt bescheiden ausfallen sollte, schließlich hätte die Askese nicht ihn, sondern die Gäste betroffen. Als Leichenschmaus wählte er Suppe, genau richtig nach einem Begräbnis im Winter. Tatsächlich war es eisig, der kälteste Tag in einem bis dahin allzu milden Januar, als wir Karl Otto Hondrich das letzte Geleit gaben.
    Â 
    Weil es ohnehin niemandem aufgefallen wäre, wollte er ohne Abschied verschwinden, nur hing sein Mantel nicht mehr an der Garderobe, sondern war vom Gastgeber in die erste Etage getragen worden, wo sich die Mäntel auf dem Ehebett türmten. Als der Gast die Wendeltreppe wieder hinabstieg, stand auf der untersten Stufe eine Bekannte, die beim besten Willen nicht unhöflich genug sein konnte, nicht zu fragen, wie es gehe. Ganz gut, stammelte der Gast wie einer, der auf frischer Tat ertappt worden ist, und schielte sprungbereit zur Wohnungstür. Den nächsten Fragen hielt er stand, bis die Bekannte nach seiner Frau fragte und der Gast antworten mußte, daß die Frau bei den Augustinerinnen liege, was die Bekannte bereits wußte, aber wenn sie es bereits wußte, wieso fragte sie danach, und wenn sie danach fragte, wieso nicht im ersten Satz, wieso fragte die Bekannte zunächst ausführlich, wie es dem Gast gehe, bevor sie nach der Frau fragte? Sie mußte doch wissen, wie es dem Gast geht, wenn sie wußte, daß die Frau bei den Augustinerinnen liegt und warum. – Und wie ist sie drauf? fragte die Bekannte, als wollte sie wirklich etwas über die Schreie erfahren, die nur dann zu einem Wimmern abflauen, solange die Frau Infusionen erhält, ihr schlechtes Gewissen, die Grenze des Ertragbaren und die Angst vor der Narkose, aus der das Ungeborene nicht erwachen könnte. – Montag wird sie operiert, meldete der Gast nur die Hauptnachricht, die die Bekannte bereits kannte. Ja, wenn sie es weiß, wieso fragt sie mich dann, sagte er sich wieder selbst, oder weshalb fragt sie mich erst jetzt? Damit seinen Lippen nicht auch noch der Name Karl Otto Hondrichs entwich, lächelte er mit gepreßten Lippen, senkte dann den Kopf, drückte den Mantel an die Brust und marschierte ohne Abschied oder weitere Blicke aus der Wohnung.
    Der Bildhauer rief aus München an, als der Freund mit der Tochter im Kölner Stadion saß. Normalerweise hebt der Freund kurz vor Anpfiff nicht mehr ab, schon weil bei dem Lärm ohnehin nichts zu verstehen ist, doch sah er den Namen des Bildhauers auf dem Display und fürchtete, daß etwas geschehen sei. Er wolle unbedingt mit ihm sprechen, rief der Bildhauer erregt, ausführlich sprechen wegen des Romans, den ich schreibe, es sei ihm Ernst, aber das ginge so und jetzt nicht. Ungefähr das verstand der Freund, nicht mehr, nichts genauer. Der Bildhauer brüllte, daß er sich am Abend melden würde.
    In der Drehtür der Augustinerinnen stieß der Mann auf eine Lehrerin der Tochter. Sie fragte, weshalb er hineinginge, er fragte, weshalb sie herauskomme. Innerhalb von Sekunden

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