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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Geschichte immer weiter: »Ich erinnere mich an einen Spaziergang im winterlichen Kottenforst, bei dem ich meiner ersten Frau, vor der Ehe, die Ehe schmackhaft zu machen versuchte, indem ich für radikale Nüchternheit von Anfang an plädierte, um uns vor späteren Enttäuschungen zu schützen. Von der Enttäuschung durch dieses Gespräch hat sich unsere Ehe womöglich nie erholt.« The same things that make you live will kill you auf die Soziologie übertragen, das ist Hondrich.
    Infam erschien mir der Nachruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , die Hondrich als Reaktionär vereinnahmte. Allein schon, daß er in Paradoxien dachte, erhob ihn über die Kulturkämpfer, die sich auf ihn beriefen. Er war viel zu vorsichtig, neugierig und unvoreingenommen, viel zu offen dafür, Meinungen zu ändern, um sie als Parolen zu rufen. Ich habe inzwischen die Aufsätze gelesen, die ihm den Ruf eines Konservativen einbrachten, der die Glaubenssätze der Linken und Multikulturalisten zu widerlegen suchte. Ich bin keineswegs mit allem einverstanden, am wenigstens mit seinen Thesen zum Irakkrieg. Ich verkenne nicht seinen Spaß an der Provokation. Aber Hondrich war zu klug, zu skrupulös und moralisch zu integer, um selbst so fremdenfeindlich zu sein, wie er es den Menschen als natürlichen Instinkt attestierte und durchaus zubilligte. Er glaubte nicht an die Friedfertigkeit der Kulturen; Gewalt einzukalkulieren machte ihn jedoch nicht zu deren Befürworter. Ich begreife, warum Konservative sich immer öfter auf ihn beriefen, und bestreite, daß er selbst einer war. Er traute nur dem Fortschritt nicht. Die Vergangenheit hielt er deshalb nicht für besser.
    Wie gern hätte ich mit ihm auch über das diskutiert, was ich anders sehe. Doch als ich Hondrich zum zweiten Mal besuchte, ahnte ich noch immer nichts von dem Ruf, den er in den Feuilletons hatte. Über die Liebe in den Zeiten der Weltgesellschaft waren wir uns einig. Die dortigen Beobachtungen und Erfahrungen, an die wir im Gespräch anknüpften, trafen bei mir im Sommer 2006 einen Nerv. So erzählte ich freimütiger, als es unserer Bekanntschaft entsprochen hätte, von meinen eigenen Ernüchterungen in der Liebe und warum ich dennoch an der Ehe festhielt. Sein Plädoyer gegen die Selbstverständlichkeit, mit der Eheleute heute auseinandergehen, schien mich zu bestätigen. Hondrich wandte sich gegen den Mythos der einvernehmlichen Trennung, bei der Kinder angeblich weniger Verletzungen davontrügen als durch den Streit der Zusammenlebenden. Damit widersprach er dem Dogma, mit dem mir in den letzten Jahren viele Bekannte in den Ohren lagen: daß es für die Kinder prinzipiell besser sei, sich scheiden zu lassen, als immerfort zu streiten. Hondrich hatte etwas gegen das Prinzipielle – was ich rundherum sympathisch fand. Sein Hinweis auf pragmatische Lösungen, auf die vielen möglichen »Vorsichts- und Reparaturmaßnahmen« gegen die Überforderung, die aus der Übertragung der romantischen in die familiäre Liebe beinah notwendig erwachse, sprach mir aus dem Herzen: »Lange Zeit habe ich das Getrenntleben in zwei Häusern nur als ein Scheitern meiner Ehe angesehen«, schrieb er in Liebe in den Zeiten der Weltgesellschaft : »Aber es war auch der Versuch, Scheitern zu begrenzen, ja ihm zuvorzukommen.« Und weiter: »Nicht das Vergehen der romantischen Liebe macht dem Paar den Garaus, sondern nur das Festhalten an der Erwartung, daß sie nie vergehe.«
    Ich zitiere all das aus seinem Buch, weil ich so lange Zeit nach unserem zweiten und letzten Gespräch seine Sätze nicht mehr wiedergeben kann. Indes gab es bei ihm, das deutete ich bereits an, kaum einen Unterschied zwischen dem geschriebenen und dem gesprochenen Wort. Was er sagte, war oft bis in die Formulierungen wie aus einem Buch, und was er schrieb, hatte die Schnörkellosigkeit dessen, der ein Gegenüber anspricht. Auch an den sechs Reden, die auf der Trauerfeier gehalten wurden, fiel mir auf, wie sehr sie sich gegenseitig bestätigten. Jedenfalls im Vergleich zu anderen Menschen gab Hondrich das Bild einer weitgehend in sich ruhenden, geschlossenen Persönlichkeit ohne krasse innere Widersprüche ab. Von Nüchternheit, Gelassenheit, Langsamkeit, Genauigkeit, Bedächtigkeit, Gewissenhaftigkeit sprachen alle, die ihn charakterisierten. Ein Redner schilderte darüber hinaus den

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