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einige Themen durch, die Frankfurter Allgemeine Zeitung , für die ich geschrieben hatte und er murrend weiter schrieb, den Islam, die nervtötende Prosa heutiger Geisteswissenschaft, die Gründe für meine Entscheidung gegen die akademische Laufbahn, die er verstand, aber nicht guthieÃ, schlieÃlich Liebe und moderne Beziehungen. Wir trafen uns im Pragmatismus, mit dem wir die Institution der Ehe und überhaupt das Zusammenleben von Mann und Frau einschätzten. Mir gefiel die Neugier Hondrichs und seine Vorsicht mit Meinungen. Eher tauschten wir Eindrücke und Vermutungen aus als Kenntnisse und Urteile. Gegen Ende â mit dem Regisseur hatte ich ausgemacht, nicht lange zu bleiben â fragte ich ihn nach seiner Krankheit. Mir war klar, daà ich danach fragen muÃte, weil uns klar war, daà wir ohne die Krankheit nicht zusammen Tee getrunken hätten.
Hondrich gab eine knappe, präzise Darstellung. Die Hoffnung beschränkte sich darauf, noch nicht jetzt zu sterben. Wir sprachen über die Schmerzen, über Medikamente, die bevorstehende nächste Chemotherapie. Es war exakt der gleiche Ton, die gleiche Art, Dinge zu beurteilen, sie also nicht zu beurteilen, sondern eher die Beobachtungen und Erfahrungen, Aussichten und Vermutungen zusammenzustellen. Die Nüchternheit, die seiner Weltbetrachtung zugrunde lag und sich mir später in den meisten Texten bestätigte, schien er streng beibehalten zu wollen, wenn er sich selbst zum Gegenstand nahm. Es war keine distanzierte, gefühllose Nüchternheit. Eher wirkte die Weigerung, sich Illusionen zu machen, wie eine Voraussetzung, die Dinge überhaupt erst lieben und erfahren zu können. Was die Krankheit betraf, so war alle Verzweiflung in der Weigerung zusammengefaÃt, die Verzweiflung auch nur anzudeuten. Ich glaube, das exakt war die Stelle, an der wir uns tiefer berührten, als es gewöhnlich zwischen einem älteren und jüngeren Kollegen geschieht, die sich seit einer halben Stunde kennen: Ich nahm das Selbstverständliche der Verzweiflung wahr, ohne daà er sie erwähnte, und er nahm wahr, daà ich die Verzweiflung wahrnahm, ohne daà ich es erwähnte. Ein Einverständnis war darin über die Welt. Es war ein Einverständnis, daà sie Spaà macht und groà ist, aber wir am Ende alle zermahlt werden und er gerade an der Reihe ist. Wie könnte ich ihn trösten? Was sollte er ein Aufheben darum machen? Gehen Sie ruhig, ich komme nach.
Bei meinem zweiten Besuch im Sommer 2006, als ich an der Universität, seiner Universität, einen Vortrag hielt, berichtete ich ihm von meiner Ãberraschung, daà ein Soziologe in seinen Büchern so persönlich sein konnte wie er. Ich meinte seinen Essay über die Liebe in den Zeiten der Weltgesellschaft , den er mir im Februar mitgegeben hatte, ein abweisend ernst wirkendes grünes Bändchen in der edition suhrkamp. In der Widmung war er noch ganz der seriöse deutsche Gelehrte, der in den respektvollen Dialog mit einem Muslim und Orientalisten tritt: »Für Navid Kermani mit Dank + Wünschen für weitere Verknüpfungen der groÃen Religionen.« Aber das Büchlein selbst hat einen ganz anderen Ton. Er erzählt von seinen eigenen Beziehungen, seinen Irrtümern, seiner Scheidung. â Von solcher Soziologie würde ich gern mehr lesen, sagte ich. Hondrich schmunzelte.
Abgesehen von den Fallbeispielen aus seinem eigenen Alltag, seinen Ehen, verblüffte mich, bis zu welchem Grad er sich als ein persönliches Gegenüber mit dem Autor deckte: die gleiche Art des Abwägens, des genauen Sprechens, des Sowohl-als-Auch, die gleiche Einsicht, daà das Notwendige nicht richtig sein muÃ. Die früher übliche Trennung der Ehe als Institution vom Motiv der romantischen Liebe ist klüger und lebensnäher, als es uns heute scheint â nur leben wir eben heute und können die Trennung nicht wiederherstellen. Noch in seinen Thesen las ich das Fragezeichen heraus. »Dem Illusionismus der groÃen Einseitigkeiten« wollte er entkommen, und dann der Satz, der das Paradox seiner emphatischen und also niemals zynischen Skepsis zusammenfaÃt: »Nicht VerheiÃungen, sondern Ernüchterungen produziere die Soziologie.« Allerdings ist das noch nicht der SchluÃ. Die Nüchternheit, die er einfordert, ist selbst das nächste Problem. Man kann nicht nur mit Fragezeichen leben. Deshalb geht die
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