Dein Name
rührten sie, die sich vorher nur auf dem Schulhof begrüÃt hatten, an das Existentielle beider. Alles Gute wünschte sie der Frau, er der Lehrerin bei der Schmerztherapie, der sie sich seit einer miÃlungenen Operation an der Wirbelsäule unterzieht, damit sie wieder unterrichten kann. â Früher klangen diese Selbstvernichtungsphantasien immer pubertär, deutete er die Worte der Lehrerin, man wäre besser nicht geboren und so weiter. Aber wer physisch leidet, auf schreckliche Weise, wenn der Schmerz Realität ist, die sich vor alle Relativierungen stellt, wessen Körper nicht nur zu modern beginnt, allmählich verfällt, sondern bei vollem BewuÃtsein zerberstet, dem wird der Wunsch konkret, nicht geboren worden zu sein. Alles andere, fügte der Mann schon auf dem Fahrrad in Gedanken hinzu, ist Philosophie, nicht Offenbarung. Hiob brüllt nicht aus Weltschmerz.
An der Sprechtrainerin, die nicht sehr erfreut wäre, ihren Namen zu lesen, aber Namen fallen im Roman, den ich schreibe, ohnehin nicht auÃer von Toten und von Künstlern, um nicht mehr nur die Dichter auszunehmen, an der Sprechtrainerin oder gar nicht speziell an ihr, sondern an Frauen ihres Alters, die es zu einer eigenen Existenz, vielleicht dem einen oder anderen Kind gebracht haben und nun merken, hoppla, da ist ja noch eine Strecke, bis Männer desselben Alters in ihnen nicht mehr das wilde, wilde Mädchen ersehnen, das sie nie waren, aber werden könnten, nicht für ein Leben, nicht um die so mühsam errichtete Existenz zu gefährden, das geliebte Kind zu verletzen, aber doch für einen Abend, ein paar Abendessen, die ins Frivole kippen, die eine und dann vielleicht noch ein paar, freilich nicht zu viele weitere Nächte â an Frauen wie der Sprechtrainerin erregen ihn gerade jene Spuren, die das Leben bereits hinterlassen hat, und nicht etwa die Makellosigkeit, obschon sie schrumpelig nun auch nicht sein sollen, gut gebaut und gerade soviel Falten, daà es Spuren sind, nicht Schluchten. Die Sprechtrainerin wäre als Titel verkaufsträchtiger für einen Roman als In Frieden , der damit beginnen würde, daà er sich im Laufe der ersten Ãbungsstunde immer plastischer vorstellte, wie sie aussähe, spräche, blickte, sich bewegte, wenn sie das seriöse Kostüm gegen Jeans und Pullover tauschte und von der überaus freundlichen, durchaus sympathischen, nur eben durch und durch professionellen, standardisierten Haltung ablieÃe: aufrechter Körper, bewuÃte Wahrnehmung und Regulierung seiner Spannungsverhältnisse, kombinierte Zwerchfell-Rippen-Atmung, geweitete Resonanzräume, Mitteilungswille, Gerichtetheit des Sprechens, aktive Bewegung von Lippe, Zunge und Unterkiefer, ohne auszusehen wie ein dressierter Affe, wie er hinzufügte, um ihr ein Lächeln abzuringen. Er stellte sich ihr Kichern, ihre Unsicherheit und ihre schlechte Laune zwischen zwei Gedanken an die Gnädige Frau oder die Ungeborene vor, während er redete und redete, gleichgültig worüber, weil es der Sprechtrainerin nur um die Mitteilung ging als solches, endlich endlich einmal nicht den Inhalt. Ein-, zweimal brachte er sie zum unverstellten Lachen, nicht nur zum Lächeln, und merkte, hoppla, daà sie mehr als die kombinierte Zwerchfell-Rippen-Atmung miteinander verbinden könnte. Es sind nicht nur die Falten, die ihn verführen. Es ist die Differenz von Augen, die immer noch jung sind, und Linien, die gar nicht ins Gesicht passen wollen. Es ist, als stehe das Alter an der Tür, um die Frau mitzunehmen, aber sie hat sich noch gar nicht umgezogen. Hier genau entsteht die Idee: Ein paar Minuten hast du noch, die du in Jeans und Pullover zum Beispiel mit mir verbringen könntest, eigentlich auch mit jedem oder sagen wir fast jedem anderem, Hauptsache, er bringt dich zum Lachen. Nicht daà drauÃen der Tod wartet, keine Sorge, da ist schon auch noch GenuÃ. Aber das hier, diese Minuten, wenn du jede FuÃleiste deines Zimmers wertschätzt und also freien Herzens noch einmal vor die Tür gehen könntest, die sind etwas Besonderes. Schöner wird dein Zimmer niemals mehr sein. Hier genau ist die Stelle: wo du glücklich sein kannst im BewuÃtsein des Sterbens. Er sollte die Sprechtrainerin, wenn er ihren Namen schon nicht nennt, vielleicht zusätzlich in eine Ãrztin oder eine Finanzberaterin verwandeln, damit die Spuren noch unscheinbarer sind als die
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