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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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– Kommst du mit schwimmen? wird er fragen, Eis essen, radfahren, egal? Hab gerade was Wichtiges zu tun –, das fanden sie urkomisch. Neil Young werde ich immer hören, sagte sie – und Schakira. Wer zum Teufel ist Schakira? fragte er und klärte sie darüber auf, daß Schakira ein arabischer Name sei und »Die Dankbare« bedeute. Wer weiß, ob zum letzten Mal, war die Ältere von seinem Fachwissen beeindruckt.
    Der Urlauber hatte lange nicht das Gefühl, die Ehe schenke ihm etwas. In den letzten Jahren raubte sie seine Gedanken, seine Kraft, seine Fürsorge, seine Empfindsamkeit, seine Konzentration, Zeit zum Lesen und Schreiben. Jetzt erlebt er noch zweitausend Kilometer entfernt auf der Insel, wieviel die Frau ihm gibt, wie sie ihn beschützt und achtet, ihn umsorgt. Nicht nur wegen der Älteren drängte sie ihn, den regnerischen sechzehn Grad für eine Woche zu entfliehen. Sie gönnte es ihm. Wie oft er nachfragte – meinst du wirklich? –, wie viele Kurzmitteilungen er von der Insel noch schickt – das Ticket habe ich extra umbuchbar gekauft –, wie sehr er am Telefon betont, daß es auf zwei oder drei Tage weniger nicht ankäme – eine Affenhitze hier –, genießt er es zu spüren, daß sie ihm Gutes tun will. Dabei hat sie nicht nur die Frühgeborene zu versorgen, die noch keine Regelmäßigkeiten findet und keine Erlösung vom Bauchweh, sondern obendrein den Vater, seinen Vater, den sie mit Aufgaben im Haus beschäftigt, damit es nicht den Eindruck erweckt, man würde sich um ihn kümmern, mit dem Brandmelder, den Kindersicherungen und sogar mit dem abscheulichen Treppenschoner, den der Vater wegen der Rutschgefahr seit Jahren anmahnt, fuhr mit dem Vater und der Frühgeborenen zum Baumarkt, nahm sich Zeit für seine Erinnerungen. Und wie sehr freut sich der Urlauber darauf, zurück in Köln den nackten Körper neben, unter, auf und in sich zu finden, der keine drei Monate nach der Geburt die heilige Ursula an sex appeal übertrifft, ja eine Bombe, schlicht eine Bombe, die die Zeitlosigkeit zwischen zwei Gedanken sprengt und damit zuverlässiger von sich erlöst als jedes Selberleben.
    Am Sonntag, dem 8. Juli 2007, sind um 23:44 Uhr in Athen, obwohl das Hotel unweit der Akropolis liegt, nur gelegentliche Motorräder zu hören, selten mal ein Hupen. Am letzten Abend ihrer Reise befragte ihn die Ältere, die auf der anderen Hälfte des Doppelbetts schläft, zum ersten Mal seit den Sonntagen in St. Margarete über die Krankheit der Frau. Was ihnen seitdem zuteil wurde, hat Gott aus seiner Wundertüte gezogen. »Habt, o Gütige, Dank für den und alle die Andern, / Die mein Leben, mein Gut unter den Sterblichen sind. / Aber die Nacht kommt! laß uns eilen, zu feiern das Herbstfest / Heut noch! voll ist das Herz, aber das Leben ist kurz, / Und was uns der himmlische Tag zu sagen geboten, / Das zu nennen, mein Schmidt! reichen wir beide nicht aus.« Hölderlin schreibt diese Verse nicht irgendwann. Er schreibt sie im Sommer 1801, zwischen dem 3. und 6. August, ein Jahr nach dem letzten Blickwechsel mit Suzette, ein Jahr vor der Nachricht ihres Todes. Ja, die Ärzte seien prima gewesen, sagte der Vater, aber die Disziplin und Willensstärke deiner Mutter sensationell. Der Vater hat sich mit den Füßen auf dem Eisengeländer auf den schmalen Balkon gesetzt, damit die Stadt nicht so leise ist, die ihn wie keine andere Stadt bisher an Teheran erinnert, ein wohlhabenderes und freies, aber genauso häßliches Teheran, die gleichen immer gleichen Straßen, in denen nur die vielen Bäume trösten, die gleichen fünf, sechsstöckigen Büro- und Apartmenthäuser aus graubraunem Beton, als ob die gesamte Stadt im selben Jahrzehnt nach einem einzigen Plan erbaut sei. Mehr Balkone hat Athen, da die Luft erträglicher ist und die Teheraner Frauen auf ihren Balkonen Kopftücher tragen müßten. Der Taxifahrer, der sie für 5,20 Euro vom Hafen zum dreißig Minuten entfernten Hotel brachte (auch die Preise wie in Teheran), bekreuzigte sich an jeder Kirche. Wie er im dichten Verkehr Gas gab und gleichzeitig den Stadtplan studierte, der auf dem Lenkrad ausgebreitet, war die rechte Hand dennoch frei, um alle paar Minuten Jesus Christus zu gedenken. Aufblicken mußte er dafür nicht, als Taxifahrer kennt er schließlich die Kirchen, die Hotels hingegen nicht.

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