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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Botschafter in Berlin oder ein Konsul in Frankfurt Gedanken über die Landsleute gemacht, die in der Welt verstreut sind. Und die Landsleute haben sich mit ihren Diplomaten abgefunden, die sich nun wenigstens bemühen. Für die Deutschen gäben sie ein seltsames Bild von einem Volk ab, hinter den verglasten Schaltern die bärtigen Beamten der Islamischen Republik mit den islamischen Stehkragen und den zweireihigen Anzügen in Grün oder Anthrazit, und in der großen Wartehalle die Männer, die im Exil alle wie Dichter aussehen, die schönen Frauen der zweiten Generation und ihre selbstbewußten Mütter, die für eine ordinäre Paßverlängerung die notariell beglaubigte Unterschrift ihres Ehemanns vorweisen müssen. Früher erlebten Mutter wie Sohn immer wieder Tumulte, weil Diplomaten und Landsleute aus ihrer gegenseitigen Verachtung keinen Hehl machten, Beschimpfungen, Beleidigungen, zur Hölle sollt ihr fahren. Auch heute reiste er mit der Sorge an, nach einem erfolglosen, deprimierenden Tag im Konsulat fürs erste einen Schlußstrich zu ziehen unter das Land, zu dem er unter den Intellektuellen, schönen Frauen und selbstbewußten Müttern sofort wieder gehörte. Es ist ganz simpel: Ohne neue Pässe werden sie nicht mehr einreisen können, und die Prozedur wirkt so kompliziert, die Liste der notwendigen Dokumente und Kopien so verwirrend und widersprüchlich, daß es ausgeschlossen scheint, sie bis zum Schalterschluß um halb eins zu bewältigen. Die Paßerneuerung begleitet sie nun schon seit Monaten. Ganze Nachmittage haben der Sohn, die Frau und der Schwiegervater damit verbracht, die Formulare auszufüllen, die Anweisungen zu entschlüsseln, die sie von der Website des Konsulats heruntergeladen hatten, die notwendige Anzahl der Paßbilder zu besorgen – auch die Ältere jetzt mit Kopftuch, was den Sohn allein schon erzürnt – plus der Reserve aller Dokumente für den Fall, daß etwas fehlt, bis auch noch früher als vorgesehen eine Geburt hinzukam, für die wieder ganz andere Formulare auszufüllen und völlig neue Dokumente zu besorgen waren, und als sie den Stapel dann schließlich zur Post brachten, kehrte der Umschlag nach ein paar Wochen mit dem Bescheid zurück, daß ein Elternteil für die Anmeldung eines Kindes persönlich im Konsulat vorsprechen müsse. So zog der Sohn also mit der Mutter, die ebenfalls einen neuen Paß beantragen mußte, die Wartemarken für drei verschiedene Schalter – und wehe, eine ihrer Nummern erscheint auf der elektrischen Anzeige, während sie an einem anderen Schalter vorsprechen. Dann heißt es bitte eine neue Nummer ziehen, schließlich geht es der Reihe nach und streng nach Vorschrift.
    Halb eins schon vorüber, das Konsulat offiziell bereits geschlossen, als der Sohn erfährt, daß die Geburtsurkunde international sein müsse. Er will schon resignieren, abschließen fürs erste mit Iran, wo es im Augenblick sowieso zu gefährlich sei für ihn, und die Frau teilt nicht seine Gefühle, was er verstehen kann und dennoch ständig zum Dissens führt, aber jetzt will er ihr recht geben, daß alles Sehnen keinen Zweck habe, und bleibt dennoch im Konsulat, um wenigstens die neuen Pässe und die Kennkarte zu beantragen, es wenigstens zu versuchen. Und es klappt!, fügt sich wie von geheimer Hand, erst an diesem, dann an jenem Schalter, während die Mutter den Platz in der Reihe ganz rechts freihält. Natürlich fehlen immer noch alle möglichen Kopien, Überweisungsaufträge, sind die Formulare unvollständig ausgefüllt, aber die Diplomaten wollen selbst keinen Ärger, sind froh, im Ausland zu leben, wo ihre Kinder ordentliche Schulen besuchen, die Gesundheitsversorgung, all die Vorzüge des Westens, sie wollen niemanden mehr belästigen, sofern sie selbst in Ruhe gelassen werden, helfen ihren Landsleuten durch die Prozedur, kopieren, was noch fehlt, murren ein bißchen, duzen selbst ältere Damen siebenundzwanzig Jahre nach der Revolution unverdrossen revolutionär, behandeln selbst Vierzigjährige wie ein kleines Kind – du gehst jetzt mit diesen Umschlägen zum Automaten und klebst Briefmarken im Wert von jeweils 3,90 Euro darauf, das Paßbild muß ohne Brille sein, deshalb machst du dort hinten neue, brauchst dich gleich nicht wieder hinten anzustellen, füll die Formulare eben so

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