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Das Wasser füllen sie kostenlos an Tankstellen auf. Eine warme Mahlzeit täglich kennen die wenigsten von zu Hause. Nach dem Essen breitet sich entspannte Geschwätzigkeit aus. In Grüppchen sitzen die Menschen auf der StraÃe wie bei einem Happening. Dann wie auf ein Signal wieder Geschäftigkeit, da sich vor Einbruch der Dunkelheit noch alle gründlich reinigen, die Frauen vor den Wasserwagen, die Männer meistens vor Schläuchen, mit denen sie sich gegenseitig abspritzen, stets mit Seife, die zugleich als Shampoo dient und den Frauen als Waschmittel für ihre Saris. Verblüffend ihre Geschicklichkeit, die Scham zu bewahren, hingegen die Westler in ihren staubigen kurzen Hosen und den verschwitzten T -Shirts ziemlich verschlissen aussehen. Neben der StraÃe sind Gräben ausgehoben, quer darüber Holzbretter. Stöcke ragen aus der Erde, um die eine blau-weiÃe Plastikplane so herumgeführt worden ist, daà die fünfhundert Klos Kabinen haben. In den Heimatdörfern steht ein FaÃ, das die Nachbarn nach und nach mit Korn für die Familie derer gefüllt haben, die auf den Marsch geschickt worden sind. Ist das schon der Himalaja, die Gipfel höher, als das Flugzeug fliegt, und so nah, daà man zum free gliding springen könnte oder was immer das Wirtschaftsmagazin an Extremsport empfiehlt? Am merkwürdigsten ist die Forderung der Demonstranten: Keine Umverteilung, keine Enteignungen, nicht einmal neue Gesetze, kein Umsturz, wie es in Delhi die Anwältin verständlich fände, die ihrer ganzen Sozialisation nach keine Revolutionärin sei â die Regierung soll lediglich eine Behörde einsetzen, an die sich jeder Inder wenden kann, der illegal von seinem Boden vertrieben wurde. â Wir setzen auf den Dialog mit den Politikern, nicht auf Konfrontation, betont der Führer der Bewegung, ein sanfter Mann von beinah sechzig mit schwarzem Schnurbart und jungenhafter Frisur. Natürlich geht es um mehr als um eine neue Behörde. Es geht um Aufmerksamkeit: Die indische Mittelklasse sei es, die die Landrechtsbewegung aufrütteln wolle. Sie müsse erkennen, daà die Armut, die sich ausbreite, ihren eigenen Wohlstand, ihre eigene Sicherheit bedrohe. Die Bauern, die ihre Lebensgrundlagen verloren hätten, landeten zwangsläufig in den Slums der GroÃstädte. â Niemand mag Slums vor der Haustür haben, sagt der Anführer beim kargen Abendessen in einer Grundschule, in deren Hof er mit den anderen Städtern sein Nachtlager hat, Professoren, Journalisten, Studenten, während die Bauern auf dem Feld neben der Autobahn oder dem Teer schlafen: Slums gelten den Bürgern als schmutzig, als Quell von Krankheit, Gewalt und Kriminalität. Also sagen wir: Hört endlich auf, ständig neue Slums zu produzieren. Wenn die Armut immer gröÃer und der Reichtum durch Fernsehen und Kino immer sichtbarer werde, fährt der Anführer fort, komme es zwangsläufig zu Konflikten, wenn nicht zu einer sozialen Explosion. Doch die indische Mittelklasse schaue wie gebannt in den Himmel der Globalisierung, verblendet durch den eigenen ökonomischen Aufstieg und die Segnungen des Konsums: Es wird Zeit brauchen, bis die Bürger merken, daà unter ihnen der Boden wegbricht. Eine Landlose will dem Berichterstatter die FüÃe küssen, weil er Berichterstatter ist. Sie ist Witwe, fünfzig und schneeweiÃe Haare, von ihrem Hektar Land vertrieben, als die Haare noch schwarz waren, auch sie verprügelt, darf nicht einmal in die Nähe ihres Bodens kommen, die vier Kinder in die Stadt geflohen. An guten Tagen erwischt sie einen Job, auf dem Feld oder irgendeine Handarbeit, fünfzig Rupien für sie weià nicht wie viele Stunden, ein Euro umgerechnet, lebt in einer Hütte aus Stroh. Warum sie hier ist? â Wir sind bereit zu sterben, um unser Land wiederzubekommen. Was macht sie, wenn sie zurückkehrt? â Weiterarbeiten. Und was, wenn sie alt ist, gebrechlich? â Arbeiten, solange ich Beine und Hände habe. Aber wenn sie nicht mehr arbeiten kann? Sie ist doch ganz allein. Die Landlose versteht nicht.
Der Paris Photo Service , der auch Kodakfilme verkauft, rudert vorüber. Die Berge, obwohl es sonnig ist, sehen aus, als habe Gott sie in Milch getaucht und zum Trocknen aufgehängt. Als nächstes bringt eine Schikara, wie die Gondeln in Kaschmir heiÃen, die genauso aussehen wie in Venedig, Lebensmittel ans
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