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Aufständischen, die noch verblieben sind, mit etwa tausend an. Die Journalisten in Srinagar, die der Berichterstatter trifft, auch die indischen, gehen eher von einigen Dutzend Kämpfern aus, allenfalls zwei-, dreihundert, dazu eine unbestimmte Anzahl von Männern, die tagsüber ihrer Arbeit nachgehen und abends der Sabotage. Im Durchschnitt wohl einmal die Woche vermelden die Zeitungen ein Scharmützel oder einen Anschlag, häufig im letzten Augenblick vereitelt. Etwa ab acht Toten schicken die Nachrichtenagenturen eine Meldung in die Welt. Darin ist von getöteten Extremisten die Rede, immer nur Extremisten, ob bei Reuter , AP oder CNN . Liest man die einheimische Presse, fällt auf, wie viele Extremisten AdreÃbücher bei sich tragen, in denen die Namen der Komplizen und Hintermänner fein säuberlich aufgelistet sind. Einige Tage später berichten dieselben Zeitungen von einer Verhaftungswelle und daà den Sicherheitskräften ein bedeutender Schlag gegen den Terrorismus gelungen sei. Die Menschen selbst, durchgängig alle Menschen, mit denen der Berichterstatter spricht, haben die Nase voll vom Krieg. Fed up ist der Ausdruck, den er mit Abstand am häufigsten hört. Gut, Salamualeykum hört er noch öfter, oder Aleykum salam , immer wenn er die Menschen mit dem islamischen Gruà überrascht hat. »Friede sei mit Ihnen«, das hat in Kaschmir einen ganz eigenen Klang. Mit der Zeit wirkt es auf ihn wie ein Flehen, was mehr ist als nur eine Einbildung, nämlich die Ahnung, daà auch dieser Gesprächspartner gleich versichern wird, nun wirklich genug zu haben vom Krieg, fed up , von den nächtlichen Durchsuchungen, den Ausweiskontrollen, den StraÃensperren, vor allem der Willkür dieser fremden Soldaten, die fremd auch aussehen, dunklere Haut, fremde Sprache, fremde Religion, fremdes Essen, fremde Sitten, und mit ihren geladenen Maschinengewehren noch die Hühnerställe zu bewachen scheinen. Selbst an der Universität, vor einigen Jahren das Herz der Unabhängigkeitsbewegung, trifft der Berichterstatter niemanden, der noch bereit wäre zu kämpfen. Alle unterstützen die Forderung nach Selbstbestimmung, bekräftigt eine Anglistikprofessorin, die lieber über Byron sprechen würde â aber was ist am Tag danach? fragt sie ihre Studenten. Man müsse das vorher wissen: Niemand von euch hat mir darüber etwas gesagt. Werden andere Mächte intervenieren, die Nachbarn, China, die Vereinigten Staaten? Wird es ein Afghanistan werden? Was ist mit den Andersgläubigen, was mit den Frauen? Ein säkulares Kaschmir sieht sie nicht. Ein Blick auf die möglichen Führer des freien Kaschmir genügt ihr: Islamisten. Die Studenten schweigen. Einige haben eine Zeitschrift gegründet, die sich weitgehend auf die Probleme am Campus beschränkt. Darauf sei der ganze Widerstand geschrumpft, sagt einer der Redakteure, auf diese paar zusammengehefteten Seiten aus dem Kopierer. Das Examen ist wichtiger. Seht bloà zu, daà ihr euch nicht in die Politik einmischt, warnen die Eltern, von denen viele selbst noch gekämpft haben für Azadi , wie das Zauberwort 1989 auch in Kaschmir hieÃ: für die Freiheit. Immerhin fanden 2002 regionale Wahlen statt, die einigermaÃen sauber gewesen sein sollen. Die Koalition in Srinagar bemüht sich, die Menschenrechtsverletzungen der indischen Armee einzudämmen, und verlangt deren Rückkehr in die Kasernen. Aus der Altstadt mit ihren engen Gassen hat sich die Armee bereits zurückgezogen. So überrascht ist der Berichterstatter, dort keine Uniformen anzutreffen, daà er Ausschau hält. Einzelne Soldaten entdeckt er. Das Maschinengewehr auf dem Rücken, gehen sie scheinbar sorglos umher, kaufen auch ein, verhandeln die Preise. Hingegen scheinen sich die indischen Touristen noch nicht in die Altstadt zu trauen, die mit ihren Häusern aus Stein und Holz so pittoresk ist, daà man jeden Augenblick eine Herde Japaner, eine Deutsche im Sari oder einen Amerikaner in Shorts erwartet. Teehäuser, Plätze, an denen man absichtslos verweilt, gehören seit dem Krieg allerdings nicht mehr zur kaschmirischen Kultur, dafür Moscheen, wie sie der Berichterstatter so gut frequentiert nur in Kriegen antrifft.
Ja, die Inder sind zurückgekehrt, zu erkennen an der Kleidung, an den Fotoapparaten, am südlichen Aussehen. Auch auf dem Hausboot des Berichterstatters hat eine indische
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