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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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und erklärte sich selbst zum Schah Reza Pahlewi. Seyyed Zia, der Iran von der Despotie befreien wollte, hatte nur einer anderen Dynastie den Weg geebnet. In Berlin schlug er sich als Teppichhändler durch und stellte sich »selbst im Winter unter die kalte Dusche, wo ich meine Wut herausschrie«. Siebzehn Jahre blieb er in Europa, zog quecksilbrig von Stadt zu Stadt, bis er die Fremde nicht mehr aushielt und wenigstens in der Nähe der Heimat sein wollte. Sechs Jahre lebte Seyyed Zia als Bauer und Kräutersammler in Palästina. Er entwickelte ein besonderes Faible für die Luzerne, verfaßte ein beachtliches Luzerne-Kochbuch und war noch im Alter für seine Überzeugung berüchtigt, mit der Luzerne ein Heilmittel gegen alle Beschwerden gefunden zu haben. Auch hierin nicht unähnlich Doktor Mossadegh, scheint Seyyed Zia überhaupt ein wenig exzentrisch gewesen zu sein, von den komischen russischen Fellmützen, die er stets trug, über die Kräuterteemischungen, auf die er schwur, bis zu den Kochrezepten, die er jedem aufschwatze, der zu Hause einen Herd hatte. Zu seinen bleibenden Verdiensten gehört die Einführung der Erdbeere in Iran. Er war ein großer Redner, aber wenn er zornig wurde, und das geschah oft, begann Seyyed Zia fürchterlich zu stottern. Nach zweiundzwanzig Jahren im Exil holte ihn die britische Regierung 1943 zurück nach Teheran, um ihn neben, unter oder über dem neuen Schah Mohammad Reza Pahlewi als Premierminister zu installieren. Zwar scheiterte der Plan, doch wurde Seyyed Zia ein einflußreicher Parlamentarier, der die Pahlewis beschuldigte, die Verfassung gebrochen und sich am Staatseigentum bereichert zu haben. Daß der Schah einen Minister wie selbstverständlich in die britische Botschaft schickte, um sich über die Kritik eines iranischen Abgeordneten zu beschweren, deutet an, warum der Ruf nach Selbstbestimmung immer dringlicher wurde. Um sich von den Briten zu emanzipieren, ließ die Regierung Seyyed Zia 1945 verhaften. In den drei Monaten, die er im Gefängnis verbrachte, verfaßte er dreißig neue Suppenrezepte und einen Korankommentar. Als der Schah sich aus Furcht vor den Kommunisten wieder an die Briten lehnte, wurde aus dem politischen Häftling über Nacht ein kaiserlicher Berater. Und so war es niemand anders als Großvaters erster Arbeitgeber, der den Schah 1953 überzeugte, in den Putsch gegen Premierminister Mossadegh einzuwilligen. Gern hätte ich gewußt, wie Seyyed Zia aussieht, aber ein Photo finde ich in der Bibliothek der Kölner Orientalistik nicht, wo ich den 18. Januar 2008 wie in Studentenzeiten verbringe. Ich müßte im Internet suchen, doch habe ich keinen Zugang zum Netzwerk der Universität. Er war ein Revolutionär und Terrorist, ein Putschist und Diktator, ein Teppichhändler, Bauer, Kochbuchautor und Korankommentator, zweimal politischer Häftling, zweimal Exilant und in seinen letzten zwei Jahrzehnten die graue Eminenz hinter dem Schah – ein Privatmann war Seyyed Zia nicht. Die längste Zeit lebte er mit einer Frau, mit der ihn nichts verband. Seine zweite Frau starb bei einer Fehlgeburt. Mit siebzig Jahren heiratete er eine Dienerin auf seinem Bauernhof und wurde zum ersten Mal Vater. Zwei weitere Kinder folgten. »Ich war immer so sehr mit mir selbst beschäftigt«, sagte er in einem Interview kurz vor seinem Tod, »war immer so selbstsüchtig, daß ich mich niemals für andere Menschen interessierte. Liebe habe ich nie erfahren.« Er starb am 29. August 1969. Die Witwe erbte alles Geld, heiratete kurz darauf seinen Fahrer und vernichtete zum späteren Entsetzen der Historiker die Dokumente und Aufzeichnungen, die sich im Haus stapelten, um Platz zu schaffen für neue Möbel. Auch in Großvaters Erinnerungen blieb nichts von Seyyed Zia Tabatabaí, der seine Übersetzungen abdruckte oder nicht. Bitte kommen Sie zu einem Ende, ruft die studentische Hilfskraft um 17:04 Uhr. Bin schon fertig für heute, antwortet der Enkel, der nur noch festhalten will, daß Mohammad Mossadegh, für dessen Nationale Front Großvater viele Jahre später in Isfahan kandidieren sollte, 1920 auf der Rückreise von Marseille ein paar Tage in Buschher verbrachte. So groß war Buschher nicht, zumal nicht der Hafen: Sie müßten sich also begegnet sein. In seiner Selberlebensbeschreibung, die in Iran erst nach der Revolution gedruckt werden

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