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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Finger? Schütten Sie jeden Abend so viel Whisky in ein Glas, wie der Finger breit ist. Breit, nicht lang! Danach füllen Sie das Glas mit Wasser auf. Trinken Sie das halbe Glas vor und die andere Hälfte während des Essens. Und jetzt sage ich Ihnen, was mein Problem ist: Mein Problem ist, daß diese winzige Menge in Ihnen ein gutes Gefühl erzeugen wird, fast einen kleinen Rausch. Es kann sein, daß sich das gute Gefühl auch an den nächsten Abenden einstellt, aber nach und nach werden Sie sich an den Alkohol gewöhnt haben, und Sie müssen, um dieses gute Gefühl zu erzeugen, mehr Whisky ins Glas schütten, immer mehr Whisky und immer weniger Wasser, bis Sie am Ende so viel Whisky im Glas haben, wie mein Finger lang ist, und gar kein Wasser mehr. Und nach ein paar weiteren Abenden wird auch diese Menge nicht mehr ausreichen, um Ihnen das gute Gefühl zu geben, und weil der Whisky teuer ist, werden Sie einheimischen Schnaps kaufen, Sie werden sich betrinken, und dann sind Sie ein Alkoholiker. Und wer wird schuld sein? Ich, der ich den Verzehr von Alkohol unter den besonderen klimatischen Umständen des Golfs für nützlich, sogar für erforderlich gehalten habe.
    Arnold Stadlers Ausstrahlung ist die eines extrem unsicheren Menschen, der sich überraschend gefangen hat. Dafür ist er dankbar. Vielleicht deshalb las Stadler ausgerechnet das letzte Kapitel seines neuen Romans, die Bejahung, mit welcher er die Elegie abschließt. Es eignet sich nicht besonders gut für Lesungen, ist weder ausgesprochen lustig noch charakteristisch, und ohne die vorherigen 390 Seiten Schmerz sieht das »Ja« verloren aus, mit dem die restlichen sechs Seiten überschrieben sind, unwahr. Er habe das letzte Kapitel noch nie vorgetragen, sagte er wie zur Entschuldigung. Vielleicht war es auch ein stiller Vorwurf gegen den Kollegen, der so jung noch schon so negativ übers Leben redet und auch Bücher geschrieben hat, in denen Gott angeklagt wird. In einem Interview, das ich zur Vorbereitung las, nennt Stadler Weihnachten sein Fest, die Inkarnation – nicht Ostern, nicht das Kreuz. Genausowenig wie Martin Mosebach schreibt er religiöse Romane, aber sie wären anders geschrieben, wenn er nicht religiös in einer religionslosen Gesellschaft wäre, fromm und ungläubig. Die Sehnsucht , wie alle seine Bücher heißen könnten, ist nicht innerweltlich, gleichwohl der Erscheinungsort des Göttlichen nur die Welt sein kann, das Heilige als Tuwort, wie es das Konzept für die Sendereihe trivialisiert. Mit der Frage, ob er deshalb Christ sei, brachte ihn der jüngere Kollege für einige Sekunden aus der Fassung. Ja, hob Stadler an, bog aber in die Kritik der katholischen Amtskirche ab, um auf Luther zu kommen und dem eigentlichen Verbrecher Calvin. Als Kind wollte er der Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger beitreten, sagt er in seiner Büchner-Rede, »vielleicht aus zwei Gründen: weil ich so weit weg vom Meer lebte, das ich nie gesehen hatte, und weil ich die Welt retten, nein: ich wollte, daß alle Menschen genug zu essen hätten und später einmal in den Himmel kämen«. Zuvor hatte er gesagt, daß … ach, beim Nachschlagen merke ich, daß ich mir den Satz falsch gemerkt habe: Nicht das Heilige ist für jene da, die etwas verloren haben, sondern der Heilige, genau gesagt der heilige Antonius, von dem die Katholiken wüßten, »daß dieser Heilige für jene da ist, die etwas verloren haben«. Aber »ein neues Sion leuchtet«, das steht auch irgendwo, und sein Lieblingsgedicht ist Goethes »An den Mond«, das zum Ende hin ebenfalls zur Hymne gerät: »Selig wer sich vor der Welt / Ohne Haß verschließt / Einen Mann am Busen hält / Und mit dem genießt.« Für solche Seligkeit nicht zu gewinnen, fragte der jüngere Kollege warum Stadle bei seinen Übertragungen der Psalmen die zornigen, anklagenden Gebete bewußt vermieden habe. Man würde meinen, daß ein heutiger Schriftsteller sich den Psalmen gerade wegen ihrer dunklen Stellen zuwendet. Ich kann mich nicht mehr an den Wortlaut seiner Antwort erinnern, es ging in die Richtung, daß er Verfluchungen des Schöpfers nicht für statthaft hält, Klagen ja, aber nicht Anklagen, nicht einmal in der Bibel und schon gar – das sprach er nicht aus – von einem Jüngeren wie dem Kollegen. »Alle unsere Tage gehen vor dir

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