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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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einer Besprechung und rufe zurück. Der Verleger sei in Berlin und rufe zurück. Der Verleger sei auf dem Weg in den Verlag und rufe zurück. Gut, dann ruft der Roman, den ich schreibe, also niemanden mehr an.
    Weil die Frau seinen Personalausweis aus dem Portemonnaie genommen hatte, um den iranischen Paß für die Frühgeborene zu beantragen, verweigerte ihm die Fluggesellschaft die Bordkarte, so daß er am 21. Januar 2008 um 12:04 Uhr im ICE nach Basel sitzt, während in Zürich eine Mannschaft aus Redakteuren, Produzenten, Praktikanten, Kameraleuten und Technikern Däumchen dreht. Wie gern übersähe er, ob Schicksal aus den Verspätungen erwächst, mit denen die Redakteure, Produzenten, Praktikanten, Kameraleute und Techniker heute abend heimkehren, Kinder, die auf ihre Mama warten, Großmütter, die einspringen müssen und deshalb den Arzttermin verpassen, Verabredungen, die platzen – ich kann deine Entschuldigungen nicht mehr hören! –, die ausgefallene Stunde im Fitneßstudio, die am Wochenende einen Hexenschuß verursacht, übersähe es wie Gott. Er selbst hätte es nicht besser treffen können, um sich auf Arnold Stadler vorzubereiten oder mit Großvater fortzufahren, der nach einem Jahr in Buschher an Malaria erkrankte. Der Vertrauensarzt der Zollbehörde war ein Engländer, dessen Namen Großvater mit den persischen Buchstaben P-Y-R und P-U-N-I-T wiedergibt (das Londoner Telefonbuch, das ich im Hotspot der Deutschen Bundesbahn für 2,24 Euro Verbindungsgebühr die Minute einsehe, führt keinen Kunden auf, der auch nur ungefähr so heißt), Leiter der Quarantäne im britischen Krankenhaus, doch vertrauten die Beamten eher dem iranischen Doktor Seyyed Saleh, der womöglich keine rechte Ausbildung hatte und mit Sicherheit keinen Doktortitel trug, aber Tag und Nacht bereitstand, sich um alle Kranke wie um Verwandte kümmerte, lange an ihrem Bett saß, ihnen behutsam die Wäsche wechselte, wenn sie vom Fieber verschwitzt waren, achtgab, daß sie nicht im Zug lagen, ihnen die Hand hielt, sie tröstete und, wenn niemand es tat, auch mal ihr Zimmer aufräumte oder fegte. Den iranischen Zöllnern, die ohne Familie in Buschher lebten, war die Fürsorge Doktor Salehs wichtiger als die Fachkenntnis des Engländers, und Großvater meint, daß die Pflege und der seelische Beistand durchaus zur Heilung beigetragen haben mochten, weil Knochen, Venen und Bakterien am Menschen doch nicht alles seien. Er selbst war jedenfalls ein treuer Patient, betete bis ans Lebensende für Doktor Saleh und pries dessen Heilkunst. »Es besteht Hoffnung, daß er, inzwischen mehr als hundertjährig, sich der Gunst Gottes des Erhabenen noch immer in dieser Welt erfreut.« Mit dem neuen Roman von Stadler erfüllt sich die Sehnsucht, die die erste Lektüre weckte.
    Alle Kollegen sind sich einig, daß es unter den besonderen klimatischen Verhältnissen des Persischen Golfs medizinisch geboten sei, Alkohol zu trinken. Auch in Basra und Chorramschahr hat der Zollbeamte aus Isfahan diese Ansicht oft gehört. Wie er nun immer schwächer wird und Doktor Saleh schließlich Malaria diagnostiziert, wachsen die Zweifel, ob die Kollegen vielleicht recht haben; als Medizin wäre es islamrechtlich zulässig oder sogar geboten, Alkohol zu trinken. Der Zollbeamte aus Isfahan fragt Doktor Saleh. – Wenn Sie glauben, daß der Alkohol sich medizinisch positiv auswirkt, ist nichts dagegen einzuwenden, ihn im Maße eines Medikaments zu sich zu nehmen, weicht Doktor Saleh der Frage aus. – Das weiß ich auch, beharrt der Zollbeamte: Meine Frage lautet, ob der Alkohol sich medizinisch positiv auswirkt. Da Doktor Saleh die Antwort schuldig bleibt, geht der Zollbeamte zum englischen Arzt mit den großen Urkunden im Wartezimmer, den die Kollegen sonst nur konsultieren, wenn sie ein Attest benötigen. – Ich traue mich nicht, Ihnen eine Antwort zu geben, will sich Doktor P-Y-R P-U-N-I-T ebenfalls herauswinden. – Vor wem fürchten Sie sich? fragt der Zollbeamte. – Vor Ihnen. – Warum denn ausgerechnet vor mir? – Ich fürchte mich davor, daß Sie meine richtige Antwort mißbrauchen, und eine falsche Antwort darf ich Ihnen nicht geben. Der Zollbeamte aus Isfahan drängelt so lange, bis der englische Arzt ein leeres Glas auf den Tisch stellt und den Zeigefinger daneben hält: Sehen Sie meinen

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