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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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ol-Mamolek beziehungsweise -Molk nach Teheran gerufen und auf persönlichen Befehl Seyyed Zias verhaftet. Dessen Leben wäre allemal wert, beschrieben zu werden. Bestimmt hat es schon jemand erforscht, ein deutscher, britischer oder amerikanischer Iranist in einem Aufsatz oder gar einer Biographie. Ich müßte also nicht bei Null anfangen. … Auf persisch gibt es zwei neue Biographien, stellt der Enkel fest, indem ich der Frau, deren Groll nun bis mindestens morgen nachmittag dauern wird, ein weiteres Mal das Kabel entziehe. Da keine Zeit ist, die Titel abzuschreiben, kopiere ich sie aus dem zentralen Bibliotheksverzeichnis der Universität Karlsruhe ins Totenbuch2008–1.doc, das ich mit dem Jahreswechsel geöffnet habe: /, Zindagi-i siyasi-i Sayyid Ziya al-Din T.abat.abaivonJafar MahdiNiyaSprache: Persisch Typ: Buch, Verleger:Tihran: Intisharat-i Panus, 1369 [1990], und/Zindigani-i siyasi, ijtimai-i Sayyid Ziya al-Din T.abat.abai va kudita-yi sivvum-i Iisfand-i 1299 shamsivon , Muh.ammad Riza Tabrizi ShiraziVerleger:Tihran: Muassasah-i Mutalaat-i Tarikh-i Muasir-i Iran, 1379 [2000 or 2001]. Auch über Yamin ol-Mamolek beziehungsweise -Molk schreibt Großvater so, als würden ihn seine Leser kennen; es wird sich wohl tatsächlich um Yamin ol-Molk handeln, über den ich allerdings auch nichts weiter herausgefunden hat. Der Enkel müßte eine Bibliothek mit gut funktionierender Fernleihe aufsuchen. Einen Gouverneur Osberg oder so ähnlich führt die Liste aller amerikanischer Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten nicht auf, die in der Online-Ausgabe der Encyclopedia Britannica einzusehen ist. Wahrscheinlich ist er nicht ganz so bedeutend, wie Doktor Jordan seinen Schülern sagte, nur Kandidat einer Splitterpartei oder Kandidat für eine Regionalwahl. 10:56 Uhr. – Ja, ja, ich gehe ja schon ins Büro. Nein, nein, ich will dort keine Standleitung und schon gar nicht drahtlosen Empfang.
    Â»Ich war als Schüler als Strom-, Gas- und Wasserableser in Kassel unterwegs. Da kommt man manchmal auf einen Dachboden, wo jemand vor seiner Kerze sitzt, ein bißchen verrückt, und was schreibt, und man fragt, was das sei. Er sagt dann: ›Da wird man noch von hören.‹ Natürlich denkt man, o armer Irrer, da wird man nie was von sehen und hören. So muß man die völlig aussichtslose Position auch dieses Dichters sehen, der etwas hinterläßt, und das bleibt tatsächlich erhalten und wird Anfang des letzten Jahrhunderts zum Gegenstand der Wissenschaft.« Seine Gedichte hat Hölderlin geschrieben wie ein Schachspieler, der gleichzeitig an verschiedenen Brettern spielt, erklärt der Herausgeber der Zeitung. So wachsen verschiedene Gedichte gleichzeitig über viele Blätter allmählich an, so daß erst am Ende der Ausgabe die Zusammenhänge überschaubar werden. Abgeschlossen scheinen die Texte nicht einmal dort, wo Hölderlin selbst Reinschriften anfertigte. »Hat Hölderlin nicht dennoch ganze Gedichte schreiben wollen, auch der späte Hölderlin?« fragt die Zeitung. »Die sogenannten abgeschlossenen Gedichte sind immer auch ein Scheingebilde. Sie vermitteln den Eindruck der Legitimierung einer Welt voller Zerrissenheit und Widersprüche, einer Welt, in der das Wir auch immer eine Lüge ist – als wäre etwas heil, wo nichts heil ist. Es war Hölderlins Art, vollendete Gedichte fragmentarisch zu schreiben, das heißt, sie vollendet zu denken, aber fragmentiert zu notieren, das ist der große Unterschied. So hat dieser Dichter in einer Zeit, die seine Sachen nur mit Häme bedachte, eine Form gewählt, die das Gedicht in der Verborgenheit in eine andere Zeit hinübertrug, ohne daß es zum Bildungsgut werden konnte. Dieser Gedanke, dieser kühne Gedanke, daß etwas verstreut notiert wird, enthält ja ein Hoffnungspotential der Sammlung oder der Heilung.« Wie Bilder wirkten die Handschriften, als habe Hölderlin die Möglichkeit ihrer Reproduktion vorausgesehen, »als hätte er gewußt, daß diese Handschriften erhalten bleiben, was ja für sich ein Wunder ist.« Gut, sie waren erhalten, aber sie lagerten in der Stuttgarter Landesbibliothek. Beim Versuch, die Urschrift in einen Text zu übertragen, einen Text, den man durchlesen kann, läßt selbst die Stuttgarter Ausgabe, die zu jedem Gedicht die Lesarten liefert, dreißig bis vierzig Prozent der Notizen

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