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will, denn er denkt bei Brücken an Berge, die verbunden, Flüsse oder Meeresengen, die überwunden werden, wo hier im flachen Land weit entfernt zwei Dammhälften ansteigen, die ein vier Kilometer langes Eisenkonstrukt auseinanderzuhalten scheint wie Vorwürfe ein streitendes Paar, und darüber gleiten hin und her ihre Kinder, eine wahnsinnige Anstrengung von Tausenden, auf dem flachen Land der Eisenbahn nutzlos eine riesige Brücke zu bauen, und zwar nicht Anfang der Siebziger wie die seinerzeit zweitgröÃte Autobahnbrücke Europas über Siegen, sondern 1910, als GroÃvater gerade von Doktor Jordan beigebracht wurde, nachzudenken, freiheraus zu reden und sogar einem Direktor zu widersprechen. Das stimmt nicht, daà die Brücke keinen Nutzen hat, klärte die Frau des Herausgebers den Leser später auf. Es gibt einen Kanal, den die Eisenbahn überqueren muÃ, nicht breit, das stimmt, aber früher fuhren die Segelboote hindurch mit ihren gewaltigen Masten, heute die Ãltanker aus oder nach RuÃland, weshalb die Konstruktion so hoch sein muÃ, und so lang, weil eine Eisenbahn keine groÃe Steigung nehmen kann. Auf der Rückfahrt sah ich dann tatsächlich drei Frachter hintereinander, nicht so hoch wie früher die Segelschiffe, aber groà genug, damit sich die Fahrradfahrer am Ufer in Spielmännchen verwandelten, die von selbst und noch dazu in gegensätzliche Richtungen vorrücken, als ob sie verrückt spielten, und das rückte den silbernen Mercedes-Benz Kombi, der schon wieder in die NebenstraÃe einbog, ein weiteres Stück aus seiner Wirklichkeit, eine Kleinstadt in Frieden, durch die wie auf einer schmalen StraÃe Ozeandampfer fahren, darüber eine Eisenbahn, die fliegt. Um 1:03 Uhr ist es endgültig zu spät, um noch einen der Brüder anzurufen. Nach Rom fliegt er um elf. Während zeitversetzt Manchester United einen Elfmeter vergibt, sucht der Leser bis nach China die Adresse eines Urologen in der Nähe des Hotels heraus, bei dem er um halb acht vorsprechen wird.
Seit er das Flugzeug betrat, spürt er es, nicht als Schmerz, nur als Eindruck, daà etwas da ist, spürt es, weil er im rechten Hodensack nichts spürt. Ist der Hoden schon in die Leistengegend gewandert? Nein, nein, der rechte Hoden ist eindeutig noch im richtigen Sack, versichert er sich mit der Allmacht überm Schoà und einem Handgriff an die Jeans, nur aprikosengroà und nicht mehr zu spüren, jedenfalls bildet er sich ein, daà der linke Hoden sich anders anfühlt. Dem Urologen tat es wie einem Fernsehdoktor leid, keinen anderen als den erwarteten Befund geben zu können, nachdem die Krankheit bereits im vorigen Absatz in den Roman eingeführt worden war, den ich schreibe. Dramaturgisch ist es angesichts der zwanghaften Libidinosität, auf die wiederholt hingewiesen wurde, einfach stimmig, daà der Romanschreiber nach der Blasenschwäche nun auch noch thanatologisch mit Hodenkrebs experimentiert. So behielt er die Fassung, die wir den Kindern voraushaben, der bunte Strauà von Allgemeinplätzen, den Erwachsene sofort hervorzaubern, lebensphilosophisch: kein Grund zur Klage, religiös: hab Vertrauen, medizinisch: es steht noch nicht endgültig fest, statistisch: und wenn es sich bestätigt, woran er nicht zweifelt, liegen seine Chancen immer noch bei neun zu eins. Neun zu eins! Wann hat man solche Aussichten schon im Leben? â Ich will es mal so sagen, sagte der Urologe es so, daà Drehbuchautoren davon lernen könnten: Wenn ich mir einen Krebs aussuchen dürfte, nähme ich Hoden. Wenn der Romanschreiber die Hinweise des Urologen richtig behalten hat und die Webseiten zuverlässig sind, die er während der Champions League in ein Word-Dokument kopierte ( Hoden.doc ), stellt sich die nächste Zeit folgendermaÃen dar: möglichst schnell die Operation, um eine Diagnose stellen zu können, stationär, danach Samenspende und eine zweite Operation, um den Hoden zu entfernen, Strahlen- oder Chemotherapie, im Falle des letzteren â an dieser Stelle setzt die Spannung ein, die vielleicht schon die Fassung sprengen wird â zwei bis vier Zyklen, wobei zwischen zwei Zyklen eine Pause von zwei Wochen liegt. Ein Zyklus besteht aus einem fünfzehntägigen Intervall, stationär in den ersten sechs bis acht Tagen, über den Tag verteilt eine Infusion von 6,5 Litern, zentral der Wirkstoff Cisplatin,
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