Dein Name
fleckige Wände, Namensschmierereien, das Atelier »groà und leer, nichts für mich zum Arbeiten«, eine Unmenge Ignoranz, die als Dekonstruktion des deutschen Italienbildes anfangs sympathisch und auf Dauer nicht lesenswerter ist als die Delirien der Altvorderen; was er Goethe vorwirft, »jeden kleinen Katzschià bewundert der und bringt sich damit ins Gerede«, ahmt er negativ nach, »so viel überflüssige Gedanken und Auseinandersetzungen mit diesem Land«, die Sprache oft hölzern (bei Goethe ja ebenfalls ungewohnte Unbeholfenheiten), die Photos austauschbar, quälte mich durch oder las quer, Peinliches, das er niemals so weit treibt wie Hilbig, Privates ungeordnet, das man auch geordnet nicht erfahren möchte, die Geldangaben so häufig wie im Roman, den ich schreibe, die Uhrzeit, Schreiben in Echtzeit, kennen wir, hat er in seinem Filmbuch selbst image-track genannt, glaube ich, mir allzu vertraut. Und doch legte ich für Brinkmann den zeitkritischen Roman weg, von dem dieses Frühjahr alle zu Recht schwärmen, und heftete mich an Rom, Blicke wie gerade die Frühgeborene an Goethe, dessen Italienische Reise sie auf dem Steinboden des gigantomanischen Kinderzimmers um genau 18:34 Uhr in den Mund nimmt, um 18:35 immer noch ablutscht, um 18:36 zu zerfleddern beginnt, der erste Tag mit italienischem Wetter heute, Sonntag, 20. April 2008, mit den Kindern zu Hause geblieben, FuÃball gespielt heute morgen, unmöglich, schlechtgelaunt zu sein mit dem Blick durch die drei offenen Flügel auf den Park und der Frühgeborenen fröhlich wie alle Tage, nicht bei dieser ersten Sommerluft des Jahres, mag Brinkmann auf Villa und Kinder schimpfen, wie er will, hatte selbst Eheprobleme, Rom, Blicke auch als Liebeserklärung zu lesen, die enttäuscht wird, wie man zwischen den Zeilen erfährt, die Zärtlichkeit, das Werben wegen der Galle, die er sonst permanent ausspuckt, um so bewegender, manchmal eine einzige Zeile, nur ein GruÃ, den er ausdehnt, bis er paÃt: »Machs gut«, ist noch einfallslos, »Bleib gesund«, fügt er hinzu, ohne zufrieden zu werden, »Bleib eine Frau«, schon besser, »Bleib Maleen«, das ist es. Hätte es nur »Bleib Maleen« geheiÃen, von Anfang an, ich hätte darüber hinweggelesen, ein schönes Wort, doch Brinkmann nicht der erste, der es seiner Liebsten sagt. Es wird erst zu seinem Wort mitsamt den vorherigen Versuchen. Auch Brinkmann schätzt die Ãbermüdung als Rauschmittel, beschleunigt das Schreiben, um die Kontrolle zu verlieren, bevorzugt in Zügen, häuft den Blätterberg aus Ãberlegungen, Beobachtungen, Lektüren, Photographien, Postkarten beidseitig, StraÃennamen, Zeitungsausschnitten und Tagesabläufen an, um ihn endlich nicht mehr übersehen zu können. »Liebe Maleen, auch Du muÃt die vielen Tipp- und Gedankenfehler entschuldigen und mehr den Sinn sehen als die Formulierung, denn mir bleibt keine Zeit mehr, den ganzen Brief zu korrigieren.« Die Versessenheit in Details â daà unter allen Nachkriegsautoren er Jean Paul rühmt, versteht sich â geht an den besten Stellen über alle Bedeutungen hinaus, sonst Menüabfolgen bei Einladungen, »Vorspeise Spinat, mit Quark vermischt, in einen dünnen Nudelteigüberzug gebracht, warm, kleine runde Scheibchen â dazu WeiÃwein â anschlieÃend Fleisch: 3 Sorten, ein FleischklöÃchen mit Pilze-Topf, schmurgelnde braune SahnesoÃe, auf einem kleinen Feuerchen â eine kalte Fleischplatte (Zunge, krustig, kalt, in kleinen Scheiben), dann wieder warmes Bratenfleisch, in dünnen Scheibchen â dazu Salat, Tomaten, grüne Bohnen, weichgekocht, kalt, eine italienische Frucht und WeiÃbrot«, kein Wunder, daà Maleen genervt ist, und plötzlich »Dann ging es los« startet er durch, alles in der gleichen Wertigkeit, zu einer ebenso furiosen wie plausiblen Beschimpfung der Abendgesellschaft, zu der »ein Professor« stöÃt, »Habermas, und doziert abstrakt â da werden Kinderspielplätze als Probleme vorgestellt â es ist zum Davonlaufen«, damals schon war Italien verrottet, »auch kulturell, keine neue lebendige Tendenz, ein sterbender Kopf. â Der Stil des Salons und des Abendessens, der Kaffee-Stunde, der Herren-Anzüge.« Dreimal hintereinander, in einer Notiz und zwei Postkarten, erfahre ich, daà ein Kellner beim
Weitere Kostenlose Bücher