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Spaghettibestellen blöde guckte, »Spaghetti ist für ihn eine Vorspeise, für mich nicht« (Notiz), »weil das 1 Vorspeise ist, für mich eine Hauptspeise« (an Maleen), »weil ich nach Spaghetti nichts mehr bestellte, ist für sie ein Vorgericht, mir reichts als Hauptgericht« (an Henning), ist ja gut, Brinkmann!, ich habe es kapiert, Spaghetti eine Vorspeise, der Kellner hat geglotzt, unzähliger solcher Wiederholungen, die, genau die es sind, auf die ich dann doch achte, wie ich auf einmal Spaghetti als Vorspeise nicht geachtet hätte, nicht weil es gelungen wäre â denn Gelingen setzt eine Absicht voraus, Kalkül, wo Poetisches hier aus Zufällen entsteht â, sondern das Buch sich dem Leben angleicht, Schreiben Leben wird, kein sonderlich interessantes, immer noch nicht, ungefähr so ereignisarm wie meins, Ruinen besichtigen, fürs Abendessen einkaufen, mal ein Highlight, für Zehndreiundsiebzig immerhin der StraÃenstrich, für Zehnnullacht nur eine Messe, mal Eheprobleme, mal schlechte Tage, die Einladungen und Empfänge identisch, Zehndreiundsiebzigs letzter, als sei es Zehnnullachts erster Satz, »erst dann kann man weiterkommen, wenn dieser Zwang zur sofortigen Verwertung fort ist«.
Der Zug fuhr einen Damm hoch, obwohl nirgends das Meer zu sehen war, nur flaches Land, eine Kleinstadt aus roten Ziegeln, sogar die Bürgersteige rot, Schrebergärten, Fahrradfahrer, ein silberner Mercedes-Benz Kombi, der von der Haupt- in eine NebenstraÃe einbog, die Unterschiede von Ein- oder Mehrfamilienhäusern im Rahmen der Sozialdemokratie, ein kleines Einkaufszentrum mit Bäcker, Supermarkt, Schuster und Apotheke ebenfalls rot, keine Altstadt, selbst die Kirche nur im Menschenalter, die Erde auf den Freiflächen und Baugründstücken so grün wie zeitversetzt der Rasen im Stadion von Barcelona, der am 25. April 2008 um 0:29 Uhr im Zimmer 623 eines Hamburger Hotels aufleuchtet, während der Leser mit ausgestreckten Beinen bis nach China erfährt, daà Hodentumor »jede â gutartige oder bösartige â VergröÃerung des Hodens« bezeichne und im Vergleich zu anderen Krebserkrankungen »eher selten« auftrete. Das deutlichste Anzeichen für Hodenkrebs sei »die schmerzlose GröÃenzunahme des Hodens mit einer tastbaren Knotenbildung innerhalb des Hodens«, die gröÃte Gefahr »der Hodenhochstand (Maldescensus testis)«, bei dem der Hoden aus dem Hodensack in die Leistengegend wandere. »Jede VergröÃerung des Hodens ist tumorverdächtig und muss vom Arzt untersucht werden.« Plötzlich schwebte der Zug durch die Luft, wirklich wie Fliegen, zumal die üblichen Gleisgeräusche aufgehört hatten, je nach Blickwinkel unsichtbar das Eisengestell unter uns, fast fünfzig Meter hoch an der höchsten Stelle, über vier Kilometer lang die Schwebebahn, wie ich später erfuhr, plus zweimal vier Kilometer Anlauf und Abstieg auf Erddämmen. Normalerweise fährt man an Städten vorbei, meinetwegen durch Städte hindurch. Wir jedoch glitten in dreiÃig, vierzig, schlieÃlich fünfzig Meter Höhe über die Kleinstadt aus rotem Ziegel hinweg, und das Merkwürdige an dieser Perspektive ist zum einen, daà man Zeit hat, sich in eine Situation zu vertiefen, jemand, der Rasen mäht, ein streitendes Ehepaar, das Blickfeld wie aus dem Himmel und doch so nahe am Boden, daà man beim FuÃballspiel von Jugendmannschaften auf dem Rasenplatz ganze Spielzüge mitverfolgt, der gestikulierende Trainer; das Merkwürdige ist zum anderen, daà die Menschen und die Häuser und die FuÃballplätze sich gar nicht beobachtet wähnen. Ein Zug, der vorbeifährt, ist laut, nah und sichtbar, ein Daheimgebliebener würde davor nicht nackt sein wollen oder sich streiten. Ein Zug jedoch, der auf fünfzig Meter Höhe hinweggleitet, scheint nicht zu existieren. Ein Flugzeug im Tiefflug würde Aufmerksamkeit erzeugen, aber niemand blickt mehr zum Eisengerüst hoch. Ja, das ist es, es steht immer schon da. Die Reisenden sehen alles, aus einiger Höhe zwar, und niemand sieht sie: wie Engel. Es war eine Kleinstadt im Frieden, wie wir aus der Höhe sahen, so lange schon im Frieden oder genau gesagt immer, weil es keines der Häuser vor den Kriegen gab. Vor den Kriegen stand nur die Brücke, 1910 eingeweiht, wie ich später erfuhr, wenn man die Brücke so nennen
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