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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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in der Lage gewesen, einen Gedanken zu fassen, und schaute sich das Finale der Champions League an, bei dem Manchester United erneut einen Elfmeter verschoß.
    Wiewohl er wieder halbwegs gerade läuft, ihn vor allem der Stuhlgang Gott sei gepriesen nicht mehr vor Schmerz den Schweiß ins Gesicht treibt, auch die Übelkeit abklingt, scheint in den Gehirnwindungen noch Mörtel verstreut zu liegen.
    Weil der Onkologe empfahl, die Signale des Körpers zu mißachten, trägt die Nummer zehn in wachen halben Stunden die Frühgeborene wie Marschgepäck auf dem Rücken zur Eisdiele, fährt mit dem Fahrrad Schlangen durch den Park der Deutschen Akademie und spielt sogar schon wieder Fußball, wenngleich nur mit halbgeschlossenen Lidern im Tor und immer in der Verlierermannschaft. Tag für Tag versucht er, seine Grenze zu erweitern, und dazu gehört seit vorgestern auch das Schreiben, Gehirntraining nannte es der Onkologe heute morgen am Telefon und erklärte implizit den Roman, den ich schreibe, für therapeutisch geraten, damit sich die Zellen regenerieren. Man muß immer die Überforderung anpeilen, hatte schon der Herausgeber Hölderlins empfohlen. Deshalb kämpfte sich die Nummer zehn bereits durch Bücher, als er noch die Nummer 312 war, und empfiehlt anderen Krebskranken an dieser Stelle Jean Paul, um die Nebenwirkungen der Chemotherapie zu bekämpfen. Ein härteres Training als den Titan wird man in der onkologischen Literatur nicht finden.
    Â»Daß ein solches Zeichen, als Lebenszeichen aufgefaßt, als erinnerndes, alle inneren Kräfte konzentriert, so daß die Genesung einer Neugeburt gleicht, die nicht nur Ihnen und Ihrer Familie, sondern den auseinander triftenden geistigen Welten – zwischen denen Sie stehen – verjüngend zugute kommt«, wie der Herausgeber heute faxte, kann der Berichterstatter leider noch nicht bestätigen. Wenn ihn die Müdigkeit packt, braucht er innerhalb von sechzig Sekunden ein Bett und nähme notfalls den Bürgersteig. Immerhin, der Herausgeber traut ihm etwas zu, das sagt sein Brief deutlich und ist allein schon eine Verpflichtung, mit dem Gehirntraining fortzufahren.
    Obwohl es kaum je vorauszusagen ist und er sich so oft bereits getäuscht hat, wagt der Mann die Voraussage, daß die Unterredung, die er vielleicht gar nicht einmal zufällig nach dem neuerlichen Sieg Italiens über Frankreich im letzten Vorrundenspiel der Gruppe C bei der Fußballeuropameisterschaft mit der Frau geführt hat, eben in ihrer Mattheit als die Situation in Erinnerung bleiben wird, in deren Verlauf jeder Ehepartner für sich und sie damit in gewisser Weise erstmals gemeinsam die Trennung beschlossen oder begannen, sich zu trennen, nicht bloß zu hadern, nicht bloß die Möglichkeit der Trennung ins Spiel zu bringen, denn das tun sie schon so lange, nicht bloß Schlußausvorbei zu rufen, um damit, und sei es unbewußt, das Gegenteil bewirken zu wollen, sondern sich innerlich – und eben im Gleichklang, das ist tröstlich daran und neu – im Gleichklang damit abzufinden, daß sie einfach nicht mehr die beiden Hälften sind, wenn sie es je waren, die sich mit welchen Kanten, Brüchen, Spalten auch immer ineinanderfügen. Die Frau nimmt ihr Buch und liest seitdem drei Meter von ihm entfernt mit Kopfhörern auf der Matratze, auf welcher der Mann gewöhnlich schläft, sofern die Eheleute keinen Besuch haben, aber sie haben in Rom fast immer Besuch, der in der Wäschekammer schläft, so daß der Mann sein Gehirn im Atelier zu reanimieren versucht, jedoch nicht auf der Matratze schlafen kann, weil der Besuch durchs Atelier gehen muß, wenn er zum Bad will, und außerdem nicht merken soll, daß die Eheleute nicht mehr das Bett teilen, auch deshalb stockt das Gehirn, nicht nur wegen des Carboplatins, sondern weil der Mann außerdem alle paar Minuten von jemandem unterbrochen oder nur durch gestört wird, daß jemand lautlos durch den Raum geht, es reicht ja, wenn jemand im gleichen Zimmer atmet, damit der Gedanke entwischt, den er eben noch hatte, wie er auch beim Fußball immer eine volle Sekunde zu spät reagiert, fast ohne Unterbrechung Besucher, die ihre Flüge, um billig zu reisen, seit langem gebucht hatten, und er der letzte, der jemanden auslädt, mag die Frau noch so viele, noch so gutgemeinte Vernunftgründe anführen, deren Abwendung von ihm sich auch als

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