Dein Name
damit so schwere Worte nachklingen, liest die Moderatorin hastig die nächste Frage ab: Was halten Sie vom Boykott der Olympischen Spiele in Peking? Daà das Carboplatin, das tatsächlich aus Platin besteht, wie die Nummer 312 auf Nachfrage erfuhr, als habe es der Name nicht schon gesagt, in Höchstdosis verabreicht werden soll, wollte sich der behandelnde Onkologe vom Chef der Kölner Uroonkologie persönlich bestätigen lassen. Das fachkundige Telefonat hätte die Nummer 312 lieber nicht mitgehört. Bei manchen ist die Wirkung gar nicht so schlimm, beruhigte ihn der behandelnde Onkologe, als er aufgelegt hatte. An die Parlamentsdebatten mit dem Oppositionsführer, welche die Senderegie um 23:33 Uhr ins Gespräch schneidet, kann sich der ehemalige Bundeskanzler nicht mehr erinnern. â Wissen Sie etwa noch, was Sie vor vierzig Jahren getan haben? fragt er zurück. â Damals war ich gerade geboren, stottert die Moderatorin. â Machen Sie sich nicht jünger, als Sie sind, kanzelt der ehemalige Bundeskanzler sie ab. Donnerwetter, hat der Schneid. Weil seine Antworten so knapp sind, gehen der Moderatorin um 23:36 Uhr die Fragen aus, die sie sich auf mehreren groÃen Blättern notiert hat, da fängt sie wieder mit dem Olympiaboykott an. Es läuft einiges schief, das Urin hätte heute schon analysiert werden können, wenn der Pfleger gestern an die Niere gedacht hätte, und im Wasserbett, in dem die Nummer 312 mit Strom auf das Carboplatin vorbereitet werden sollte, erfuhr er nach einer Stunde, daà der Pfleger vergessen hatte, auf den Startknopf zu drücken, ein Araber, was sonst, Friede sei mit Ihnen, den er seitdem in der Gerätekammer zum Ritualgebet trifft. Wahrscheinlich befürchten die anderen Nummern bereits einen Anschlag, den die beiden aushecken, oder malen sich irgendwelche Schweinereien aus. Konnte man nicht auch lesen, daà Muslime beim Orgasmus Gott anrufen? Andererseits müÃte der Verfassungsschutz bestätigen können, daà Allâh beim Orgasmus anders klingt als beim Mittagsgebet, das /l/ besonders emphatisch. Was schiefläuft, sind Kleinigkeiten, denn im groÃen herrscht tiefe Dankbarkeit. Das möchte die Nummer 312 vorsorglich erwähnen, bevor der behandelnde Onkologe morgen mit Plastikhandschuhen an die Tür klopft, weil er nicht voraussieht, was die Infusion mit ihm anstellt, welcher Probe sie ihn aussetzt und wann er mit dem Roman fortfahren kann, den ich schreibe. Froh ist er, vorher schon ein biÃchen fromm gewesen zu sein, da er es aus Widerspruchsgeist gerade jetzt nicht geworden wäre, fromm allerdings in einem anderen Sinne, als er es sich früher vorstellte, Gott spielt dabei keine Rolle oder im abstraktesten Sinne als Name dessen, was wurde und ist, fromm als Bejahung, siehe, es ist gut, es ist beschissen, aber es ist gut, ich bin krank, aber es ist gut, ich habe Angst vor morgen, aber bin in allmächtigen Händen. Beim Frühstück hatte eine Frau in seinem Alter noch Haare, beim Mittagessen verbarg sie den Schädel unter einem Kopftuch. Er soll sich die Haare selbst rasieren, wenn er merkt, daà sie ausfallen, hat die Stationspsychologin auch ihm empfohlen. Zum Glück hat er diesmal ans Rasiergel gedacht. Ein Mann trägt immer eine Schirmmütze, zwei andere zeigen ihre Krebsglatzen offen, die man daran erkennt, daà die Haut weià ist wie Milch. Er beobachtet die anderen Nummern, wie jeder jeden beobachtet. Ein Wort wechselte er nur mit der Nummer 308, die im Warteraum vor dem Ultraschall freiheraus fragte, ob die Nummer 312 ebenfalls unter Erektionsstörungen leide. Die Nummer 308 ist trotz der Begleiterscheinungen fest entschlossen, sich Testosteron spritzen zu lassen. Es herrscht nicht die Stimmung eines Sanatoriums wie auf dem Zauberberg, obwohl sie genauso abgeschieden leben, oder der Klinik am Starnberger See, wo er den Bildhauer auf dem Weg nach Rom besuchte. Dort ist man, um zu gesunden, der Ãbergang nach der Krankheit, der die Lebenslust kitzelt, Heiterkeit hervorruft, Geselligkeit. Hier ist man, um Schwermetall in die Blutbahnen laufen zu lassen, mit jedem Zyklus mehrere Liter, die erst auf lange Sicht heilen, manche auch nicht. Diese Klinik verläÃt niemand in besserem Zustand, als er sie betreten. Wenn der behandelnde Onkologe auf dem Flur die dicken Plastikhandschuhe trägt, signalgelb, ellenlang wie für die Reinigung öffentlicher Toiletten und
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