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ihre Abkehr von iranischen Gründen ausdrückt. Er blieb ein paar Minuten regungslos an seinem Schreibtisch sitzen, bis er vor nunmehr achtzehn Minuten seine Allmacht aufklappte, den Kopfhörer aufsetzte und diesen Absatz begann, der jetzt schon länger ist als alles, was er seit dem 21. Mai 2008 schrieb, weshalb der Onkologe wahrscheinlich auch die Ehekrise für therapeutisch geraten erklären würde. Beschwerlicher als die Müdigkeit, das Blei in den Fingern und auf den Lidern, ist der Geschmack nach stinkendem, faulendem Fisch, der bis gestern immer wieder die Kehle heraufquoll, nur ganz kurz, drei, vier Sekunden jedesmal, dann war es schon wieder eine Erinnerung, gerade lang genug, um sich mehr als nur vorzustellen, um von Grauen gepackt zu werden bei dem Gedanken, diesen Geschmack über Minuten, Stunden, Tage im Mund zu haben, wie es der Musiker in München berichtet, wobei der Freund in Rom annimmt, daà es nur in seinem Fall Fischgeschmack ist, der auf Fisch allergisch reagiert, er annimmt, daà es rein psychisch ist, sein spezifischer Ekel. Das Metall, das der Musiker schmeckte, scheint typischer zu sein und entspricht ja auch dem Heilmittel, das in die Blutbahnen gepumpt wird. Es ging gar nicht um die Beziehung als solche, es gab nicht einmal Streit. Das Ehepaar überlegte lediglich, wie und wo es den Sommer verbringen würde. So gut ein Familienurlaub täte â wenn sie nun einmal keine Familie sind, ist es auch müÃig, jedesmal von neuem zu tun als ob. Gegen die Indolenz ist er seit Hölderlin und Hodenkrebs so allergisch geworden, wie er es seit der Kindheit gegen Fisch ist. Ihn stört nicht der äuÃere Schein, der entschuldbar ist angesichts der ständigen Besucher, vielleicht sogar notwendig, jedenfalls harmlos gegen das, was sie sich gegenseitig vorspielen. Und das geht schon so lange, wie er plötzlich merkt, da Neil Young in den Kopfhörern »Pardon My Heart« singt: »Itâs a sad communication / With little reason to believe / When one isnât giving / And one pretends to receive.« Dazu gehört allerdings der Refrain, denn mit all der Bitternis und dem Verkümmern ist die Liebe gewachsen, wenn man es Liebe nennen mag, die Verbundenheit, ja, das Verbundensein durchs gemeinsame Verkümmern, alâqeh dâschtan wie Glieder einer Kette, es sind nicht nur die Kinder, weshalb die Eheleute zusammengeblieben sind, die drei Meter voneinander entfernt sitzen, nicht nur die vielen positiven Seiten, wie man so sagt, die aufregend guten oder beruhigend unaufgeregten Tage, all das Selbstverständliche, das sich vor Augen zu führen er ebenfalls müde geworden ist, die eigentlich ja fehlenden oder auf die Summe der Jahre bezogen marginalen Vorwürfe, so daà das Betriebsergebnis, wären sie eine Firma, passabel ausfiele â da ist auch das Gemeinsame dessen, was sie durchgestanden und sich an Vernachlässigung angetan haben: »Pardon my heart / If I showed that I cared / But I love you more than moments / We have or have not shared.« Er will, spürt er gerade, keinesfalls Neil Young verpassen, der Gott sei gepriesen wieder auf Tournee geht, und nicht mit einer Frau leben, die andere als pragmatische Gründe, mit ihm zu leben, nicht vorbringt, das alte Lied, aber er dachte nicht an groÃe Entschlüsse, hörte nur hin, wie es jetzt klang, und bemerkte, während er sich heute nachmittag mit der Frühgeborenen auf dem Rücken strammen Schrittes die Müdigkeit Meter für Meter aus den Knochen lief, daà er in seiner Situation erst wieder festen Boden unter den FüÃe haben muÃ, Klarheit finden, um zu sehen, Stille, um zu lauschen, Reglosigkeit, um zu fühlen, und sich einen Sommer, der in pragmatischer Verstellung verrinnt, aus den denkbar pragmatischsten Gründen nicht leisten kann. Vom Walken mit der Frühgeborenen zurückgekehrt, schlug er der Frau vor, den Sommer getrennt zu verbringen. â Dann ist es eben so, reagierte sie wie üblich, worauf er sie wie üblich stehenlieà und diesmal mit dem Fahrrad davonfuhr, um den Abgang zu beschleunigen, stadtauswärts die Nomentana und dann so viele Kurven, daà er endlich die Orientierung verlor, auf Stadtautobahnen landete, Tai Chi in einem Park passierte, wie es jede echte GroÃstadt auÃerhalb Japans aufweisen muÃ, zwischendurch immer wieder Orte wie die Pferderanch für die Ãltere oder eine Wellblechsiedlung
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