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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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von Flüchtlingen, deren Adresse er im Handy speicherte. Endlich sah er ein, daß es ihn zu weit weg getrieben hatte, dann fing es auch noch an zu regnen, wo seine weißen Blutkörperchen im Keller sind, wie der Onkologe warnte, kein Verlaß also aufs Immunsystem und der Mann voller Vertrauen, daß es gutgehen würde heute, weil der Tag schon beschissen genug gewesen sei und auch Gott mal ein Einsehen haben müsse. Die Frau wünscht so frostig sie es nur vermag, gute Nacht, seine Erwiderung weder länger noch gefühlvoller, wie von einem beleidigten Kind bis in die Betonung genau so, wie er die zwei Worte empfing und ohne aufhören zu tippen. Wenigstens hat er einmal einen Absatz zu Ende gebracht.
    Das Rom von Josef Winkler, der heute als Büchnerpreisträger ausgerufen wurde, ist ja eine bloße Einbildung, das hat er aus Schwarzweißfilmen von Fellini und Pasolini, die er mit Schwarzen und Arabern koloriert hat, die Granatäpfel, die auf dem Asphalt auseinanderspringen, drogensüchtige Tierverkäufer, Rosenverkäufer trotz »weit über dreißig Grad Celsius« im Wintermantel, weil der Westen so kalt ist, Straßenmusikanten aus keiner anderen Hafenstadt als Neapel, bärtige Gesichter krebsrot, der Metzger mit der Golduhr und zwei breiten Goldringen, der auf dem Markt einen Schafsschädel aufhackt, das Gehirn hervorholt und die zwei Hälften auf rosarotes Fettpapier mit Wasserzeichen ausbreitet, sein sowieso tumber Lehrling, der Herz, Lunge, Milz und Nieren wahllos in den ausgeweideten Hasen stopft, um ihn zurück in die selbstverständlich mit Blutstropfen bespritzte Verkaufsvitrine zu stopfen, läuft da was im Schlachthof?, bestimmt läuft da was im Schlachthof zwischen Schweinen, und die Metzgersfrau hat es schon beim vorletzten Lehrling kapiert, diese Schau monströser Fremder, an der sich nördliche Kleinbürger aufgeilen, Zigeunerkinder mit Bierflasche zwischen den Lippen, Zigeunermütter, die mit der einen Hand rosa Büstenhalter verkaufen, mit der anderen Hand ihrem Kind die Zitze in den Mund stecken (Zitze!), Zigeunereltern, die ihre Töchter verkaufen, und immer wieder blutet alles, aber klar doch, das Blut muß nur so spritzen, dann ist es katholisch, Tintenfischgedärm auf Nonnenkleidern, die Schwarzen, die er, klar doch, wir sind nicht verklemmt, Neger nennt, Neger beziehungsweise Mulatten, die Zigeuner, die noch animalischer sind, die kleinen Handwerker, die erschrockenen Mütter, die düsteren Priester, überhaupt ganz Rom, wo es am römischsten ist, wie der Klappentext verspricht, dabei spielt das Buch nur an der Piazza Vittorio Emmanuelle, nette Wohngegend, Immobilienpreise gestiegen, relativ wenig Touristen noch, die den Straßenblock von Maria im Schnee hinab schlendern, dazu die Einwanderer aus dem angrenzenden Bahnhofsviertel, das ein netter Vorort ist gegen die Bahnhofsviertel anderer, auch italienischer Städte, von Genua, zum Beispiel, oder Neapel. Um das Urwüchsige zu finden, das der Klappentext verspricht, hätte Josef Winkler anderswo suchen müssen, aber dort ist Rom nicht am römischsten, sondern so häßlich und einförmig wie Köln-Chorweiler oder der Süden Beiruts. »Selbstverständlich sind das nur meine persönlichen Ansichten, und ich bin weit davon entfernt, sie für jemand anders als bindend zu erachten.«
    Die Begleitmusiker gehören zur Familie oder sind noch älter als er, seine ältesten Freunde und einer nach dem anderen auf seine Ranch gezogen, so habe ich gelesen, und der Chefrowdy seit vierzig Jahren klimperte zwischendurch auch auf dem Klavier oder zupfte das Banjo. Ich kann mir das schon vorstellen, er hatte diese Krankheit gehabt, Gehirnaneurysma, und seitdem ist er fest entschlossen, nur noch zu tun, was er will, was er immer schon getan hat, aber jetzt eben so konsequent, daß selbst wir etwas enttäuscht sein könnten, wären wir nicht so froh, ihn überhaupt noch einmal zu hören. Erst hat er mit den Freunden von einst an keinem anderen Ort als Nashville ein Country-Album eingespielt, das ich mir nicht einmal gekauft habe, ging auf eine Tournee, die mindestens zwanzigtausend Feuerzeuge verbraucht haben muß, dann juckte in den Fingern endlich wieder Rock ’n’ Roll, allein, er hatte keine Lust auf neue Begleiter und diesmal nicht auf die Rabauken von Crazy Horse , die immer den Refrain vergessen, dann hat er eben die

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