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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Tour fortgesetzt mit den gleichen Freunden von einst plus den Verwandten und Rowdys, die schon dabei waren, so schön, alle beisammen zu haben, besser als Urlaub, die Konzerte alle kurzfristig angesetzt, kleine Hallen und Amphitheater, noch jetzt ergeben sich immer neue Termine für den Sommer, so daß wir uns ebenso kurzfristig ins Auto setzten, obwohl es eine Direktverbindung nach Lyon gab. Zum Haus Gottes darf der Pilger keinen Gedanken an Bequemlichkeit übrig haben, wie schon Großvater mahnte, und nach Woodstock hat schließlich auch niemand den Billigflieger genommen. Jetzt ruft die Mutter zum Essen, die Kinder haben Hunger, danach drei Stunden Mittagsschlaf, Lesen, Meer, Abendessen und bald schon wieder Schlafen, so vergehen die Tage, wie der Sohn sie so bequem und eintönig selten hatte.
    Auf den ersten Konzerten hatte erst Neil Youngs eigene Frau mit seinen ältesten Freunden Country gespielt, anschließend er solo akustisch, bevor seine Frau und die ältesten Freunde auf die Bühne zurückkehrten und der Chefrowdy seit vierzig Jahren die E-Gitarren anreichte, doch in Lyon waren sie längst soweit, von vornherein wummwumm auf den Putz zu hauen, das heißt, Neil Young haute auf den Putz, ließ die Gitarren jaulen, hämmerte auf die Saiten, freute sich an den Rückkopplungen, während die übrigen Musiker, also die ältesten Freunde, Verwandten und der Chefrowdy seit vierzig Jahren, so taten, als spielten sie immer noch Country-Balladen. Seine Frau ist mit Sicherheit ein wunderbarer Mensch, hat diese Schule für Behinderte aufgebaut und keineswegs eine schlechte Stimme; als Backgroundsängerin weiß sie allerdings nicht, wohin mit den Händen, und walkt auf der Stelle wie auf einem Laufband. Ben Keith, der immer wieder gezwungen wurde, von seiner Steel Guitar aufzustehen, um die Rhythmusgitarre zu nehmen, ist aus fünfzig Meter Entfernung ein Amerikaner von der herzlichsten Art, aber bei so einem Tempo und überhaupt diesem Lärm hätte er sich schon vor vierzig Jahren wohl lieber ein Bier gezischt. Der Bassist Rick Rosas stand nicht nur zwei Stunden lang steif wie ein Grabwächter auf der Bühne, sondern spielte auch mit dem Elan einer Friedhofskapelle. Im Hintergrund malte jemand grelle Gemälde auf eine Leinwand, halb Volkshochschule, halb Hilflosigkeit, die in großen Lettern den jeweils nächsten Titel ankündigten, ab und zu den falschen, dann fing Neil Young zu diskutieren an. Vermutlich wohnt der Maler ebenfalls auf der Ranch oder in der Nachbarschaft, ist er der Hausmeister und zu nett, um auf der großen Reise fehlen zu dürfen, obwohl es für einen Hausmeister keinen Bedarf auf einem Rockkonzert gibt. Dann mußte der Bedarf eben geschaffen werden. So lang die Tour noch gehen mag, wird der Hausmeister niemals die Titelfolge beherrschen, da Neil Young jeden Abend andere Titel spielt.
    In Lyon kramte er Stücke aus dem Repertoire, deren Text er vom Blatt ablesen mußte, »Oh, Lonesome Me«, zum Beispiel, das ein Kritiker als den Beginn seiner künstlerischen Pervertierung bezeichnet hatte, und das war vor fünfunddreißig Jahren gewesen. – »This is what you get, if you get me«, zuckte er mit den Schultern, als die ersten Zuhörer nach den Evergreens riefen. Auch seine Frau setzte sich mal ans Klavier, als sie sich müde gewalkt, ebenso Anthony Crawford, von dem der Freund aus der Kneipe zwischen zwei Stücken fälschlich behauptete, daß er der Sohn von Neil Young sei, ein schmächtiger Junge mit Hut, der zunächst mit der Mutter im Hintergrund sang und später an die Gitarre durfte, wenn Ben Keith an der Steel Guitar klebenblieb, und als dann noch der Chefrowdy seit vierzig Jahren die Pumporgel zum Kirchenklang brachte, sahen sie endgültig wie die Großfamilie aus, in der Vati wieder rockt, alles zutiefst sympathisch, wie der Freund aus der Kneipe ebenfalls sagte, ein wenig wie die Kelly Family, wie es zu meiner Schande mir entfuhr, bevor ich umgehend dem Freund recht gab, der hinzufügte, daß Neil Young auf die bewunderungswürdigste Weise alt werde, oder genau gesagt für immer jung bleibe, indem er aus vollen Zügen altere, »all my changes were there«, wie es in »Helpless« heißt, nur braucht es für die Messe nicht nur den Priester und gehört zum Rocken mehr als einer dazu.
    Neil Young wußte gar nicht, wen er anspielen sollte, Ben Keith und

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