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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Rock Rosas klammerten sich an ihren Instrumenten fest, als würden sie sonst weggeweht, tanzte in Ausfallschritten vor dem Schlagzeuger, der sich ebensowenig dazu hinreißen ließ, die Noten zu suchen, von denen er weiß, daß es sie nicht gibt, wie Neil Young sein Zusammenspiel mit Crazy Horse einmal beschrieben hatte, und verkroch sich dann regelmäßig in die Ecke der Bühne, manchmal außerhalb der Scheinwerfer schon beinah im Gang zwischen Gerätecontainern, wo er den Karren allein zum Fliegen zu bringen versuchte. Es gelang nicht, wie jeder im Saal merkte, es war wild, es war laut, aber mein Gott, sie sind auch nicht mehr dreißig. Manchmal war es auch nur gemütlich. Die lange Anreise bereut haben wir dennoch keine Sekunde, auch die Ältere nicht, die ihn hört, seit sie ein paar Tage alt ist, die ihn keineswegs zu lieben aufgehört hat – immer die Diskussionen im Auto, wenn der Rest der Familie mitfährt, Neil, ruft sie von der Rückbank, wenn Musik, dann Neil. Wenn alle paar Jahre der Lieblingsonkel aus Amerika zu Besuch ist, freut man sich eben, egal ob er sich bei den verschenkten Hemden in der Größe vertan hat oder es diesmal beim small talk bleibt, legten wir uns bereits die Freude zurecht, als Neil Young im Verlaufe der Improvisation auf »No Hidden Path«, das mir auf Chrome Dreams 2 nicht weiter aufgefallen war, plötzlich so außer sich geriet, daß er weder zur Melodie noch zum Mikrophon zurückfand, sich auf der Bühne verlief, zwischen den Boxen umherirrte, hinter einem Kasten verschwand, einem Verstärkerkasten wohl, mit geschlossenen Augen wiederauftauchte, über ein Kabel stolperte und mitsamt der Gitarre wie vom Blitz getroffen stürzte, als hätte sich sein Herr dem Berge gezeigt.
    Â»Wenn ich manchmal Gitarre spiele«, sagte Neil Young dem Bordmagazin, »erreiche ich einen Punkt, an dem es sehr kalt wird in mir, richtig eisig. Es ist sehr erfrischend. Jeder Atemzug fühlt sich an, als seiest du am Nordpol. Dein Kopf beginnt zu frieren. Beim Einatmen kriegst du so unglaublich viel mehr Luft, als du es je für möglich gehalten hättest. Das beginnt, in dich einzuströmen. Es hat etwas Magisches. Manchmal, wenn es geschieht, fragst du dich, ob du wieder okay sein wirst.«
    Im Saal hielten alle vor Sorge den Atem an, schließlich ist der Mann keine dreißig mehr, er jedoch, er spielte einfach im Liegen weiter, die Saiten zerrissen, und brachte minutenlang immer neue, nie gehörte Töne aus der Gitarre hervor, indem er sie in der Luft schleuderte oder auf den Boden haute, da war plötzlich alles da, der Rock ’n’ Roll und ebenso der Sound, nicht der mächtige, tiefe Sound von Crazy Horse , mehr die Jenseitsklänge von Dead Man , wuuuumm, immer noch ein Solo, leider, aber was für eins. Merkwürdig, wie ein ganzer Saal das Ereignis geschlossen wahrnimmt, plötzlich jubelten, schrien und raunten sich alle zu, jeder einzelne dankbar, die Gegenwart teilen zu dürfen. Obwohl der Maler ein Bild mit dem nächsten Titel angefertigt hatte, war danach Schluß und applaudierte die Band Neil Young, wie ich es zum ersten Mal bei einem Rockkonzert erlebte, denn normalerweise belobigt der Star seine Begleiter. Jetzt klatschten die ältesten Freunde, die Verwandten und der Chefrowdy seit vierzig wie das Symphonieorchester dem Starsolisten zu: Was Vati immer noch draufhat! In der Zugabe überraschte er uns alle mit seiner metallenen Version von »A Day in the Life«, das früher in den Umbaupausen vom Band lief. Ich bin mir ziemlich sicher, daß er es zuvor noch nie gespielt, zuviel Ehrfurcht hatte vor dem Sgt. Peppers Lonely Heart Club , das am Anfang seines eigenen und so vieler Wege in der Rockmusik stand. Wer als derselbe Mensch zurückkehrt, ist nicht wirklich in Mekka gewesen, nicht mit dem Herzen.Die Ältere, der ich ein sündhaft teures Fan- T- Shirt gekauft, schlief inzwischen in meinem Arm, so lang war die Fahrt gewesen. Vorher hatte sie sich an mich geschmiegt gesagt, daß sie glücklich sei, und darum ging es ja, deshalb war auch dieser Abend mit Neil Young groß, der gesamte Abend einschließlich »Oh, Lonesome Me«, das nun wirklich nicht zu den Sternstunden der Rockgeschichte gehört, wegen der Familie sozusagen, seiner und meiner. In siebzig Jahren wird sie sagen können, daß sie noch Neil Young live gehört hat, sagte der Freund, der

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