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gewänne â aber was?, er kannte sie kaum â, oder eine Frau erfinden, die auf gleiche Weise, in gleicher Entfernung stirbt. Heraus kam der erwähnte Versuch, den spezifischen Schock des Todes in einer konventionellen literarischen Form zu erfassen. Der Roman, den ich schreibe, setzt ein, als er nur mehr festhalten will, wer in seinem Leben stirbt. Das Programm seines Totenbuchs hätte er schon nach den ersten Seiten bei Hölderlin finden können, wenn er den Hyperion nicht, vielleicht erinnern Sie sich, zunächst in die Ecke gefeuert hätte, Band fünf der Leseausgabe, um genau zu bleiben: »Wir bedauern die Todten, als fühlten sie den Tod, und die Todten haben doch Frieden. Aber das, das ist der Schmerz, dem keiner gleichkömmt, das ist unaufhörliches Gefühl der gänzlichen Zernichtung, wenn unser Leben seine Bedeutung verliert, wenn so das Herz sich sagt, du muÃt hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur daà du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurük auf Erden. Ach! und die Seele kann immer so voll Sehnens seyn, bei dem, daà sie so muthlos ist!« Jean Paul erörtert die Todesangst nicht abstrakt â Wir bedauern die Todten â, sondern verfolgt in der Alltäglichkeit, was Sterben mit einem einzelnen Menschen anrichtet: Wenn mein Leben seine Bedeutung verliert. Dafür aber, und das macht sein Totenbuch so echt, muà er vom Leben des Quintus Fixlein erzählen, gerade insofern es gewöhnlich ist wie das Leben fast jedes Menschen für alle auÃer für Quintus Fixlein selbst, von Sommerlauben und dem ersten KuÃ, von Hochzeit, Beruf und Taufe der Kinder, von Einkünften, Steuern bis auf den Heller und dem Austausch des Knopfs am Hukelumer Turm, dem Jean Paul trotz der verhältnismäÃigen Kürze des Romans ein langes Kapitel widmet. Wenn der Mensch nur darauf besteht, gewinnt eben auch der Austausch des Knopfs am Hukelumer Turm eine Bedeutung. Schon bevor er Jean Paul fand, merkte auch der Leser, daà er für ein Totenbuch vom Leben erzählen muÃ, gerade insofern es gewöhnlich ist wie das Leben fast jedes Menschen für alle ist auÃer ihn selbst, von der Liebe eines Mannes, der Dankbarkeit eines Vaters, dem Schmerz eines Sohnes, der Treue eines Freundes, dem Respekt eines Enkels, dem Wissen eines Orientalisten, der Begeisterung eines Lesers, der Blindheit eines Nachbarn, der Aufregung eines Liebhabers, dem Mitgefühl eines Berichterstatters, der Erschöpfung eines Handlungsreisenden, dem Wohlgefallen als Nummer zehn und immer wieder der Arbeit eines Romanschreibers, kurz gesagt: von einem Menschen, der an einigen Stellen Navid Kermani genannt wird. Deshalb ist an dem Ungenügen, das er an Hölderlin spürt, wenn er ihn nach dem Tod befragt â dieser Eindruck, Hölderlin würde ja nur philosophieren, die Vernichtung mystisch verklären â, etwas Objektives, glaubt der Leser, nur daà Hölderlin selbst es schon bezeichnet: »Man kann auch in die Höhe fallen.« Ãber den Tod an sich mag man rätselhaft dichten oder Gott darin suchen wie die Mystiker, aber am einzelnen Sterben prallt alle Fügung ab, alle Kunstfertigkeit und alle Vision. Deshalb findet der Leser seinen eigenen Versuch miÃlungen, eine Tote zu erfinden. Ich finde meinen vorherigen Roman keineswegs miÃlungen, um das zu betonen, und erst recht fielen mir aus der Weltliteratur groÃartige Todesfälle ein, die offenkundig fiktiv sind. Ich finde auch keineswegs, daà Hölderlin in diesem Absatz Gerechtigkeit widerfährt, man denke nur an das Ende des Hyperions und dessen Nachvollzug in seinem wie im Leben Suzette Gontards: »Am Tage, da die schöne Welt für uns begann, begann für uns die Dürftigkeit des Lebens.« Der Roman selbst, den ich schreibe, widerspricht seiner anfänglichen Poetologie, indem sich darin ein Roman im Roman entwickelt, der trotz gleichbleibender Thematik keineswegs im Hier und Jetzt spielt. Und doch erscheint nicht nur dem Leser, sondern auch mir Jean Pauls Hinwendung zum Tod nicht zufällig in jenen Romanen am wahrhaftigsten, deren Schauplätze und Personen am gewöhnlichsten, seiner Zeit und Umgebung am nächsten sind â in denen die Schauplätze und Personen nicht Allegorien sind wie im Titan , sondern für nichts stehen als sich selbst. »Der Mensch interessiert sich bloÃ
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