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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Vernichtung, nachdem Er sie zuvor erschaffen hat.« Auch Jean Paul führt die Nichtswerdung als Grund menschlicher Selbstbehauptung an, nicht der Demut, wie es die Theologen lehren, der ekelhaften Tränen, sondern des stolzen Zornes: »Allmächtiger, ändere dich!« Kein Wunder, wenn die Frommen sich über Caravaggios Heiligen aufregten – bei den Gesichtern, die sie machen, Petrus’ gar nicht verklärter Todesausdruck, Abraham, der beinah ärgerlich wirkt, als der Engel ihm die Ermordung des Sohns erläßt, das Christuskind als verzogener Lausbub, der nichts als eine Schlange zertritt, und eben Judith, die eine Retterin ist, die keinem Volk gut ansteht, am wenigsten dem göttlichen.
    Als Großvater sich wie jeden Morgen verabschiedete, um meine Mutter zur Schule zu bringen, stand Großmutter mit Mohammad Hassan, Habibeh Soltan und Mah Soltan schon lange in der Küche, um das Scholleh zard zuzubereiten, eine äußerst aufwendige isfahanische Spezialität bis heute, mit der sie die Geburt jedes ihrer Kinder feierte. Feiern ist wahrscheinlich der falsche Ausdruck. Großmutter legte vor allen schwierigen Situationen und in allen Krisen vor Gott ein Gelübde ab, ein nazr , dieses oder jenes zu tun, zum Beispiel für die Armen ein Lamm oder einen Hammel zu schlachten, wenn ein Kranker wieder gesund, eine Kutsche ihr Ziel oder ein Kind seine Prüfung bestehen würde. Bevor Großvater nach Teheran fuhr, um die Betrügereien seines Vorgesetzten zu melden, legte sie bestimmt auch ein solches nazr ab, und als er in den Zug einstieg, streute sie ihm wie allen Reisenden, also auch uns, die wir nach Deutschland zurückkehrten, Mehl und Wasser hinterher, die einer der Bediensteten in Schüsseln zum nagelneuen Isfahaner Bahnhof mitgebracht hatte. Mit dem Mehl und dem Wasser, das in den Schüsseln übrigblieb, kochte sie dann ein Âsch reschteh , einen Nudeleintopf, den alle Verwandten zum Wohle der Abgereisten verspeisten. Gerade weil sie genausowenig wie meine Mutter zu Reglementierungen und Regelmäßigkeiten neigte, das Leben nahm, wie es kam, immer neugierig, immer für eine Abwechslung bereit, hielt sie um so eiserner an einzelnen Ordnungsprinzipien fest wie dem nazr , dem Âsch reschteh , der Anordnung des Teegeschirrs oder fünfmal täglich mit ausgestreckten Beinen gegen die Querwand der Veranda gelehnt eine Zigarette zu rauchen. Und vor der Geburt eines jeden ihrer Kinder bestand das Gelübde eben darin, Scholleh zard zuzubereiten, das in etwa die Farbe und Konsistenz eines gelben Wackelpuddings hat, freilich raffiniert nach Pistazien, Safran und Rosenwasser schmeckt. Großvater warf zum Abschied noch einen Blick in die Küche, wo Großmutter zu vertieft in die Arbeit war, um ihn zu beachten. Dafür nahm er Djahan das Baby ab, um es ein paar Minuten im Arm zu wiegen, während meine Mutter noch einmal in ihr Zimmer rannte, da sie wie jeden Morgen etwas vergessen hatte. Der Name das Neugeborenen war so modern, wie Großmutter es sich wünschte, beziehungsweise neumodisch, wie Großvater es mißbilligte, persisch und zweisilbig mit dem J am Anfang wie in jardin oder jolie im geliebten Französisch ebenfalls leicht auszusprechen. Daß Großvater auf dem Standesamt auch diesmal einen arabischen, damit islamischen Namen eingetragen hatte, ahnte Großmutter noch nicht. Den unvermeidlichen Streit zögerte er hinaus, solange es ging.
    Damals heiratete man nicht aus Liebe – wie auch, wenn sich die vorehelichen Kontakte, soweit sie regulär blieben, auf Blicke im Rahmen einer großen Geselligkeit oder der offiziellen Brautwerbung beschränkten –, und doch verdiente das, was Großvater nach fünfzehn Jahren und fünf Geburten für seine Frau empfand, kein anderes Wort. Ob er das Gefühl selbst so nannte – eschgh ? Ich glaube schon, denn die Liebe selbst war keine Mode und Großvater in all seiner Steifheit und Frömmigkeit der Macht von Gefühlen wehrloser ausgesetzt als die meisten Zeitgeister um ihm herum. Er war ein Mann, der öffentlich weinen mußte, wenn ihn eine Rede ergriff, und mit einem Tadel einer Gesellschaft für den Rest des Abends die Stimmung verderben konnte, wenn eine Bemerkung ihn moralisch empörte. Nun war ausgerechnet ihm diese sinnenfrohe Frau zuteil geworden, die mit Anfang Dreißig bezaubernd aussah, schlank und einen Kopf größer als er, die

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