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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Nummer zehn versucht zu rufen. Es war kein Stoß Heimatliebe, der mich durchfuhr, eher das selbstverständlich irrige Gefühl, der Kirche und speziell der Seele ihrer Astronomen, die sich so viel Mühe gegeben hatten, mit der Mitteilung eine Freude zu machen. Womöglich war ich der erste Isfahani, der unterm Deckenbild der damals bekannten Welt stand, schließlich ist der Flur gewöhnlichen Reisenden verschlossen und wird die Trinità dei Monti ohnehin nicht für besonders sehenswürdig gehalten, wenn sogar der dicke Kunstreiseführer nur elf Zeilen für sie übrig hat, davon sechs für die Fassade, die Treppe und das Gebäude daneben. Ich hätte zum Ausdruck gebracht oder bringen wollen, daß nach so langer Zeit, schätzungsweise fünfhundert Jahren, jemand durch den hinteren oder oberen, jedenfalls abgelegenen Flügel des Konvents von Trinità dei Monti geht, den es interessiert, wieviel Uhr es in Isfahan ist. Das wäre zwar ein bißchen geflunkert gewesen, denn ich bin schon nicht mehr selbst in Isfahan geboren, aber meine Eltern sind es, und um anderen eine Freude zu machen, ist Flunkern nicht nur erlaubt, sondern geboten. Von den Bildern gefiel mir ein Detail aus dem turnhallengroßen Speisesaal der Mönche am besten, dessen Wände und Decke vollständig bemalt sind, ziemlich gräßlich bemalt, wenn ich ehrlich bin, spätes Barock oder frühes Rokoko, was weiß ich denn, wenn im Kunstreiseführer nichts steht und ich dem Vortrag der beschwingten Nonne immer weniger folgen konnte, weil ich Kopfschmerzen von der Grippe hatte, die aus Köln mitgereist war, die Nebenhöhlen zu, in den Manteltaschen die vollgerotzten Taschentücher, vom langen Stehen auch Probleme mit den Kreislauf, die sich mit Dauergähnen ankündigten, und so dauergähnend und weitere Taschentücher vollrotzend, im Kopf das Pulsieren gegen die Schädeldecke, das ich von der Migräne kenne, blieb ich immun gegen ihr Entzücken an den Sommeridyllen, fetten Engeln und heiteren Gelagen. Nur ein Detail fesselte mich, in der Mitte der Querwand, also wo der Blick hinfällt: der Mundschenk vor dem Tisch, an dem Jesus Christus mit Maria speist. Der Rumpf des Mundschenks steht in Richtung Jesu, aber mit dem Kopf und der Karaffe wendet er sich zum Saal, wo die Mönche aßen – als würde er ihnen vom gleichen Wein ausschenken wie der Heiligen Familie, ja, als seien der Mönche viertausend. Die Illusion wird durch den linken Fuß des Mundschenks verstärkt, der aus dem Bild zu treten scheint. Früher führte eine kleine Treppe hoch zum Bild, schnappte ich von der schwärmenden Nonne noch auf, und es sah aus, als hätte der Mundschenk schon seinen Fuß auf die oberste Stufe gesetzt, um zu den Mönchen herabzusteigen. »Und sie aßen alle und wurden satt« (Matthäus 15,37). Vielleicht ist es das Kind in mir oder meine Liebe zum Theater, warum mir so kleine Tricks am besten gefallen. Die Anamorphosen sind spektakulärer, doch der Mundschenk, der aus der Wand tritt, scheint als einziger eine Funktion zu haben, eine Botschaft auszudrücken, eine sehr katholische: Brüder, laßt es euch schmecken! Es ist Fleisch von Seinem Fleische, und zwar nicht sakral aufgeladen wie in der Messe, nicht als Sakrament, Realpräsenz, Gott-Essen, vielmehr handfest und augenzwinkernd. In einer anderen Kirche, zu der uns die Dienstagsbegleitung führte – ich glaube, es war Sant’Ignazio, aber im Kunstreiseführer finde ich aufs Wesentliche wieder keinen Hinweis –, blickt man vom Eingang aus in das Schiff und meint, über dem Altar eine gewaltige Kuppel zu sehen. Wie zufällig ist auch ein Modell der Kirche ausgestellt, das ahnen läßt, wie mächtig die Kuppel von außen wirkt. Dann geht man langsam nach vorn, schaut sich hier und dort noch um, bis man im Querhaus steht, einige Meter vom Altar entfernt. Man blickt hoch: Die Decke ist praktisch flach, nur minimal nach oben gewölbt, die Farbe grauschwarz. Es gibt die Kuppel gar nicht. Es gab ihr Modell, man hatte auch vorgehabt, sie zu bauen, aber dann stellte jemand fest, daß sie höher geworden wäre als der Petersdom. Außerdem wurde das Geld knapp. Dann hat man eben nur so getan, als habe die Kirche eine Kuppel. Schöner hätte sie nicht werden können.
    Die Dreifaltigkeitskirche selbst, räumte die beschwingte Nonne ein, weise keine architektonischen

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