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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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gibt, in Klöstern, meine ich, denn sonst würden die Geschlechterbeziehungen jede Ordnung, und mag sie noch so heilig sein, zuverlässig sprengen; andererseits würde mich die Verpflichtung zur Enthaltsamkeit abhalten vom Kloster und überhaupt davon, mein Leben auf diese stille, genügsame und fleißige Art zu verbringen, so konsequent wie sie, wenngleich in einer anderen Sprache, mit einem anderen Brauch, in einer anderen Religion. Ich bin also nicht in Versuchung geraten, mein Leben Gott zu widmen wie die sieben Schwester und die vier Brüder, und doch war ich neidisch auf sie, die jeden Tag dreimal Lieder singen, die selbst einen Ungläubigen wie mich berücken. Dabei nehme ich gar nicht an, daß sie mich als ungläubig betrachten würden. An bestimmten Stellen des Gesangs – eine Regel fiel mir nicht auf – verbeugten sie sich alle, manchmal nur leicht, andere jedoch tief, die Hände aufs Knie gestützt. Die Illusion war perfekt. Es war keine Illusion. Es sind Schwestern und Brüder.

An einem anderen Abend empfing Großmutter Großvater mit der Nachricht, daß die Lehrerin meine Mutter geschlagen habe. Er selbst hatte in der Koranschule den Schmerz und noch mehr die Demütigung erfahren, verprügelt zu werden. Wie leicht es sich die Lehrer damit machten! schimpfte er noch im Alter. Die Erziehung einem Stück Holz zu überlassen war für ihn Ausdruck und Symbol der Rückständigkeit, die sein Land und seine Religion endlich überwinden sollten. Sein eigener Vater hatte sich darüber schon empört, und nun streckte ihm seine Tochter wie zum Gebet die Innenflächen ihrer Hände hin, auf denen sich die Striemen abbildeten. – Warum hat sie dich geschlagen? fragte Großvater und bereute es sogleich, als erstes keine andere Frage gestellt zu haben, wie es meiner Mutter gehe, ob es noch weh tue, ob sie sehr geweint habe. Als ob es einen Grund geben konnte, sie zu schlagen. – Weil ich ein paarmal zu spät gekommen bin, antwortete sie. Großvater drückte sie fest an sich. Vielleicht war er auch deshalb so bestürzt, weil er sich wie so oft die Verantwortung selbst zuschrieb. Er war es, der meine Mutter zur Schule brachte. Er war es, der nicht genügend zur Eile gedrängt hatte, als meine Mutter wieder etwas Dringendes vergessen zu haben meinte. Er als Erwachsener war verantwortlich, wenn sie auf dem Weg zu lang gebummelt hatten. Es war seine Schuld, daß sie zu spät gekommen und also geschlagen worden war. Als die Lehrerin meine Mutter am nächsten Morgen mit einem Geschenk erwartete, einer Schachtel Buntstifte, und vor der Klasse versprach, nie wieder ein Kind zu züchtigen, hielt meine Mutter die Wandlung für ein Wunder.
    Als Großmutter ein Kind war, existierten in Isfahan nicht einmal für die Mädchen aus vornehmeren Kreisen weiterführende Schulen. Die klassische Poesie lernten sie nicht im Klassenzimmer, sondern von Privatlehrern oder bei den Geselligkeiten der Erwachsenen. Als meine Mutter die Grundschule abgeschlossen hatte, entschied Großvater deshalb allein, sie auf das Christliche Mädchengymnasium zu schicken, das von den Engländerinnen Mrs. Isaak und Mrs. Eden geleitet wurde, dieselbe Schule übrigens, die die spätere Kaiserin Soraya besuchte. Obwohl ein Jahrgang höher, saß Soraya in der Persischklasse meiner Mutter, da sie als Tochter einer Deutschen nicht flüssig Persisch sprach. Der Rolls-Royce, in dem ein Fahrer im schwarzen Anzug sie jeden Morgen vorfuhr, beeindruckte Großvater überhaupt nicht, wie er auffällig oft zu verstehen gab. Er brachte meine Mutter weiterhin zu Fuß zur Schule, ein Fußmarsch von fast einer Dreiviertelstunde, um weiter zur Nationalbank zu gehen. Mit Mrs. Isaak und Mrs. Eden mußte er sich nie streiten. Den Missionsbegriff legten sie so weit aus, daß Großvater sich keine Sorgen machte, und die Prügelstrafe war an ihrer Schule erklärtermaßen verpönt. Ähnlich wie sein eigener Direktor Doktor Jordan empfanden sie eine tiefe, angesichts des Elends, der Diktatur und der kolonialen Ausbeutung schmerzliche Zuneigung zum Land, dessen Entwicklung sie ihr Leben geweiht hatten. Großvater packte der Zorn, als man Mrs. Isaak und Mrs. Eden, die längst im Ruhestand waren, nach der Islamischen Revolution Spionage und Konspiration vorwarf. »Die Welle des Fremdenfeindlichkeit«, wie die Mutter in ihrer

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