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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Eigenheiten auf. Der Teppich ging bei aller Besonderheit nicht als Kleinod durch, maschinengewebt, wie es ihn so oder so ähnlich im Teppich-Paradis zu kaufen gibt, und schon ziemlich fleckig. Ich hätte dennoch gern gefragt, warum er vorm Altar ausgebreitet war, doch wartete die beschwingte Nonne bereits mit weiteren Illusionen auf. In einem Seitenaltar ist das lichtumstrahlte Jesuskind so an die hintere Wand gemalt, daß es während der Messe vom Kopf des Priesters verdeckt wird und man den Eindruck haben könnte, sein, also des Priesters Kopf würde strahlen vom göttlichen Glanze. Ein einfacher, deshalb kein schlechter Trick, den zu erläutern man allerdings nicht fünfzehn Minuten gebraucht hätte. Jetzt wird sie wirklich ein bißchen pedantisch, murmelte sogar die Dienstagsbegleitung. Ich hingegen schaute schon gar nicht mehr zum Jesuskind hin. In durchaus langen Abständen traten nacheinander Männer und Frauen in knöchellangen, weißen Gewändern aus einem Zimmer an der hinteren rechten Ecke des Querhauses hervor, die Frauen mit weißen Kopftüchern, und knieten sich auf den Teppichboden mit dem Rücken zu uns, links die Männer, rechts die Frauen. Sie schienen etwas zu murmeln, und manchmal beugte einer oder eine von ihnen den Kopf bis fast zum Boden. Andere wiegten den Oberkörper im Rhythmus der Worte, die sie rezitierten. Plötzlich war die Kirche eine Moschee, ich konnte es kaum fassen. Natürlich waren es keine Muslime – Sufis haben oft solche Gewänder, weiß bis über den Knöchel, die Frauen ein Kopftuch, die Geschlechter Seite an Seite, wenngleich getrennt, links die Männer, rechts die Frauen –, es sah nur so aus. Es waren die Brüder und Schwester der beschwingten Nonne, die sich alsbald von uns verabschiedete und schnellen Schrittes verschwand. Kurz darauf trat sie aus dem Zimmer an der hinteren rechten Ecke des Querhauses hervor, weißes Gewand und Kopftuch jetzt, konzentriertes, entrücktes Gesicht, und kniete sich zum Gebet auf den Teppich, das Gesicht zum Altar. Sie war die letzte. Die vier Brüder und sieben Schwestern erhoben sich, die beiden Älteren mit einem Ächzen, das auch bei Freitagsgebeten zu vernehmen ist, und fingen an, im Chor zu singen, italienische, französische und lateinische Gesänge, wenn ich mich nicht täuschte, der Hall verwischte die Konsonanten, aus alter Zeit, das war klar, traurig und demütig im Tonfall, nicht so sehr anders als die sephardischen Lieder, die wir als Studenten in Kairo hörten, nur eben im Chor, Herzweh des Mittelmeeres. Niemand stand am Altar, alle beteten in gleicher Richtung. Während die anderen schon längst die nächste oder übernächste Kirche besichtigten, wich meine Erregung über die Illusion, Muslime beten zu sehen, der Dankbarkeit, daß mich die katholischen Schwestern und Brüder an ihrem Gottesdienst teilhaben ließen. Die Kopfschmerzen waren, nun, nicht verflogen, das wäre geflunkert, aber immerhin rückläufig, und ich mußte auch nicht mehr die Nase putzen. Das ist kein Wunder, das behaupte ich nicht, trotzdem war ich glücklich, ich war in diesem Augenblick glücklich zu sein, wo ich war, zu hören, was ich hörte, zu sehen, was ich sah. »Schafft euch Speise, die nicht vergänglich ist, sondern die bleibt zum ewigen Leben« (Johannes 6,27). Wenn die Mystiker stets beteuern, die Sprachen, Bräuche und Religionen, Gott zu preisen, seien so unendlich wie Er selbst – genau das war es, dieser Eindruck, daß die Wege in der Vielfalt zu dem Einen führen. Großvater hätte sich sofort eine Ecke gesucht und seinen eigenen Gebetsteppich ausgebreitet. Später hätte er beschwingt mit der französischen Nonne geschwatzt. Die sieben Schwestern und vier Brüder versammeln sich jeden Tag dreimal für insgesamt drei oder mehr Stunden, sonntags noch länger, nehmen sich auch vorher schon Zeit, um sich auf den beigefarbenen Teppichboden zu knien, bevor sie gemeinsam singen; mittags sitzen manchmal einige Besucher hinter ihnen auf den Bänken, die mit ihnen beten oder nur zuschauen, unter der Woche morgens und abends fast nie; die Stunden vor dem Altar sind der Rhythmus, in dem sie ihr Tagwerk wiegen – das bedeutet es in concreto, kann es bedeuten, sein Leben geweiht zu haben. Einerseits verstand ich bei dem Anblick, links die Männer, rechts die Frauen, daß es das Zölibat

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