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Dein Name

Titel: Dein Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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sondern die Reform des Wahlrechts, wie es Khalil Maleki häufig forderte, ja, ebendieser Maleki mit den traurigen Augen, für den sie nicht kochen durfte, guter Mann, höflich, so bescheiden, und seine Frau arbeitete als Biologin. Großvater widersprach nicht prinzipiell, bezweifelte allerdings die Dringlichkeit. Auch er war der Ansicht, daß ein modernes Land nicht auf Dauer die Hälfte der Bevölkerung von den Wahlen ausschließen konnte – nicht einmal, so fügte er manchmal in Gedanken hinzu, wenn die andere Hälfte aus Frauen bestand. Aber da Iran noch weit davon entfernt war, modern zu sein, sollte man erst einmal abwarten, ob es mit den Analphabeten klappte, die zum ersten Mal ihre Stimme abgeben durften, also auch der ständig betrunkene Mohammad Hassan und die Bauern in Kartschegan, Berendschegan und Tschamtaghi, der Ali Agha, der Mohammadchan und sogar der greise Esmail. Gut, immerhin sie wußten, was sie zu wählen hätten, Großvater hatte es ihnen eingeschärft, schon bevor er selbst Kandidat wurde: nämlich die Demokratie. Nicht zuletzt deshalb hatte ihn die Nationale Front nominiert, deutet er selbst an, weil er als Großgrundbesitzer mit Verbindungen zum Basar und der Verankerung im religiösen Milieu die einfachen Leute zu mobilisieren versprach, die Bauern, die Dienstboten, die Handwerker. An seinem Einsatz sollte es keinesfalls mangeln. Noch am Abend, sobald die übrigen Honoratioren das Haus verlassen haben würden, wollte er den Vorsitzenden Zirakzadeh vor die große Karte führen, auf der die Stadtteile Isfahans und die umliegenden Dörfer eingezeichnet waren, um die Kampagne zu besprechen. Die Karte hing seit einigen Tagen in einem der beiden Gästezimmer am Tor, das Großvater zur Wahlkampfzentrale hergerichtet hatte. Großvater war stolz auf die Kandidatur, auch wenn er in der Selberlebensbeschreibung nur von Pflichterfüllung spricht. Natürlich war er stolz, es kann gar nicht anders sein, stolz und auch wieder ehrgeizig, er wollte ja etwas beitragen auf Erden, seit er Isfahan als Zwölfjähriger zum ersten Mal verließ. Bei aller Begeisterung für die Befreiung der Nation freute Großvater sich, daß Gott ihm mit dem Amt des Abgeordneten in Teheran doch noch einen weiteren Aufbruch zu bescheren schien. Und es schmeichelte seiner Eitelkeit – ungewöhnlich oder gar verwerflich kann ich das nicht finden –, daß der glänzende Wahlsieger von Teheran den einzigen Abend in Isfahan bei den Schafizadehs am Teheraner Tor verbringen würde. So stelle ich es mir vor und habe mir den Streit mit Großmutter dazugedacht, weil er sich zu der Schmach fügen würde, die der Abend Großvater bescherte.
    Es könnte jeder sein, jeder der vier Männer, die um den kleinen Tisch sitzen, auch der Junge. Es könnte jetzt sein, wie Caravaggio lehrt, indem er wie im heutigen Regietheater das biblische Personal in Kleidung seiner eigenen, Caravaggios, Gegenwart hüllt, der Apostel in Rüschen. Levi, wie Matthäus vor seiner Berufung heißt, hat noch gar nicht gemerkt, daß der Unbekannte auf ihn zeigt, so vertieft ist er darin, die Steuern zu zählen, die er heute eingenommen hat, oder hat es gemerkt und schaut nur deshalb nicht auf, weil er es nicht wahrhaben will. Der ältere Begleiter des Unbekannten, Petrus, scheint Levis Freunden oder Kollegen zu bestätigen, daß sie nicht gemeint sind. Sie können weiter Steuern eintreiben, Tag für Tag, ihre Familie ernähren, in dem sie andere Familien ausplündern, ein übliches Menschenleben führen. Nur zu Levi sagt Jesus: »Folge mir!« (Matthäus 9,9). Kein Wort mehr steht in der Bibel über die Berufung des Matthäus, wie Jesus ihn nennen wird, keine Begründung, keine Erklärung, vor allem kein Werben wie bei einer Mission, nur: »Folge mir!« Und Matthäus stand auf und folgte ihm: »So mußt es geschehen«, faßt Hölderlin das nicht hinterfragbare Moment der Berufung, »So will es der Geist / Und die reifende Zeit, / Denn einmal bedurften / Wir Blinden des Wunders.« Der Bruch mit allem, was Levis Leben bis zu dieser Sekunde ausmachte, ist in der Bibel so abrupt und umfassend, daß er, wenn nicht als Hypnose trivialisiert oder mit dem Begriff der Aura vernebelt, nur als ein Wunder zu verstehen ist. Allein, Caravaggio interessiert nicht das Wunder selbst, weil es nicht darstellbar ist oder wenn es

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